Vortrag zu Arbeiten von Eszter Salamon am Tanzhaus NRW Düsseldorf
„Die sichtbare Welt und die meiner motorischen Vorhaben sind erschöpfende Teile desselben Seins.“ Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist
In ihrem Solo What a body you have, honey“ (2001) steckt Eszter Salamon ihren Körper in eine Steppdecke, versteckt ihn förmlich, unförmig darin. Mit langsamen Bewegungen entschlüpft sie diesem Kokon dann, streift ihn ab und zeigt sich ganz. Jedoch entpuppt sich ihr vermeintliches Vorne als ihr Hinten, ihr Hintern, ein Körper in Umkehrung, als seine beständige Kehrseite. What a hiney you have, buddy, möchte man ihr verkehrend hinterherrufen.
In Giszelle (2001) gibt die ungarische Tänzerin vielen namhaften Bewegungen, die sie dem popkulturellen Bereich entlehnt, ihren individuellen Körper zurück, nimmt Michael Jackson, Kubricks Space-Odyssey-Affen in sich auf. Sie verdoppelt sie verkehrt, verkehrt mit ihnen, verkehrt dabei das S aus Giselle, diesem romantischen Ballett, indem sie dem Namen das singuläre Z ihres Vornamens (hin)zufügt. Ihr Z scheint wiederum die Kehrseite des S zu bilden: Eszter mit ‚eszet’, diesem ungarischen Zufall im Namen, macht aus diesem „S/Z“ ihr choreografisches Programm.
Wie zum Beispiel in Magyar Tancok, den Ungarischen Tänzen, aus dem Jahre 2005, ein Solo mit Familie, in welchem Eszter Salamon sich im doppelten Sinne mit ihrer Tanzvergangenheit als klassisch ausgebildeter Ballett-Tänzerin als auch dem von ihrer Mutter gelernten Volkstanz auseinandersetzt. Im Herzstück der Arbeit verkehrt sie die Geschlechterrollen von männlich und weiblich und zeigt ein Duett, in welchem sie die stützende Rolle ‚des Mannes’ zeigt, ein Stocktanz, an welchem sich normalerweise die Frauen anhalten können.
Im Gruppenstück Reproduction (2004) tragen acht Frauen nun Männerkleider, jede mit Bart; mit Barthes, ROLAND BARTHES und dessen Buch S/Z gelesen, könnte das schneidende Z, ein schiefes S, für Kastration stehen. Bis zur Unkenntlichkeit nämlich ihrer geschlechtlichen Besetzungen werden verlangsamte Körper zu sehen gegeben, Körper scheinen im choreografierten Kama-Sutra schräg gestellt. Der Schrägstrich zwischen S, wie in Sehen, und Z, wie in Zuschauen, wird im und als Dazwischen inszeniert.
Wir haben es also mit einem Buchstaben zu tun, um Derridas berühmte Einleitung zu seinem Différance-Text aufzugreifen. Fast zeitgleich leitet Roland Barthes ein Seminar an der Ecole Normale, aus welchem das Buch S/Z entstehen wird.
(Exkurs zu Balzacs Erzählung über Sarrasine, den Bildhauer, dessen Name auf einem femininen E endet, der sich in Italien im 18. Jahrhundert in die Sängerin Zambinella verliebt, von ihrer Stimme, ihrer Erscheinung, ihrem Körper verzückt ist und nicht sieht, dass es sich um einen Kastraten handelt. Am Ende will er Zambinella mit seinem Degen töten, fällt aber kurz zuvor selbst einem Mordanschlag zum Opfer. Barthes unterzieht den Text einer vielschichtigen Code-Analyse: Anhand des S/Z, dem Z aus Balzac und dem effeminierten Namen von Sarrasine, dem schneidenden Z aber auch von Zambinella baut er seine Code-Lektüre auf, in diesen beiden Buchstaben sieht Barthes die Gegenüberstellung und die Verbindung der Geschlechter, der Lektüren, der Codes. Das S und Z durch einen Schrägstrich getrennt, der Buchstaben der Kastration, des Abschneidens, der Verstümmelung, aber auch des das Begehren anreizenden Mangels. Eine Zero-Stelle am Ort des Phallus.)
Und schreibt sich Eszter nicht nur mit eszet, sondern endet der Name nicht auf „er“, der im Deutschen jedenfalls männlichen Namen vorbehaltenen Endungen? Wir können mit Barthes’ Sarrasine fragen: Sieht der Zuschauer nur, was er wiedererkennen zu können glaubt? Oder gibt es ein Sehen zwischen dem Sehen, das wahrnimmt, ohne zu sehen? Ich würde diese Fragen gerne an ihrem Umgang mit Körper, Bewegung und Zeit durchspielen, der sich an ihren performativen Untersuchungen des Zusammenhangs von ästhetischer Wahrnehmung, Körperidentität und Bildpolitiken engführen lässt.
Wenn es stimmt, dass eine der klassischen Aufgaben von Theater darin besteht, sichtbar zu machen, was außerhalb der Bühne ansonsten nicht sichtbar, unbestimmt bliebe, dann betrifft die Aufgabe von Theater als Ort des Vor- und Nachdenkens bereits das Visuelle. In dieser Dopplung nämlich von Reflektion im Sinne von Nachdenken wie auch Reflektion im Sinne von darstellender Spiegelung ist die theatrale Untersuchung des Sichtbaren bereits verortet. Es scheint so zu sein, dass das Reflexive, wie es im Begriff auch das Zurückbeugen des Körpers meint, eng zusammenhängt mit der Reflexion, dem Widerschein von Bildern, die auf der Bühne der Darstellung immer und immer wiederkehren. Hier trifft das Feld der theoria das Theater, das Theatron, sein Theater.
Der Körper ist damit im Reflexiven bereits im Bild, jede Beugung, jede Bewegung wird demnach im Bild fassbar, er wird reflektiert von einem Bild, das den Körper immer schon als Bild gefasst, als Bild aufgefasst hat. Damit aber wird der Körper, um überhaupt wahrnehmbar zu sein, ins Bild gestellt, immobilisiert, ruhig gestellt und seiner Bewegung, seiner Flektion beraubt. Sichtbarkeit heißt damit, als etwas sichtbar zu sein, bereits immer schon gefasst zu sein als Bild-Objekt. Im Bild sein heißt auch, die Zeit still zu stellen, sie als Bild-Moment gefrieren, um den Körper in der PAUSE der Bewegung in POSE setzen zu können. Um etwas sichtbar zu machen, muss das herkömmliche Theater damit die Mittel unsichtbar machen, die diese Sichtbarkeit erst produzieren können. Der Körper, seine Bewegung treten damit hinter das Bild und die Stillstellung zurück, sie werden zu Trägern einer Information. Was reflektiert, zurückgespiegelt werden soll in den Raum der Zuschauer, die bewusst unsichtbar auf die hell erleuchtete Szene blicken, ist das sichtbare Bild eines unsichtbaren Körpers, die sichtbare Pose einer unsichtbaren Bewegung, der sichtbare Moment einer unsichtbaren Zeit.
Das, was gezeigt werden soll, wird damit auf merkwürdige Weise abwesend gemacht. Der Modus des Sichtbaren, so scheint das herkömmliche Theater (und wir dürfen hier auch an das klassische Hollywoodkino und seine Bildmächtigkeit denken) zu sagen, ist ohne die Nichtsichtbarkeit dessen, was ins Licht gesetzt werden soll, nicht möglich. Seine Markierungen scheinen nur über den Ausschluss des Sichtbaren selbst zu gelingen. Entsprechend wird das zu Zeigende nur über seine Negativität sichtbar, nur über sein Spiel mit der Abwesenheit, über die Unterbrechung. Die Präsenz wird über die Absenz dieser Präsenz erst sichtbar, so scheint es. (Zeichentheoretischer Exkurs: Das Objekt selbst ist nicht anwesend, nur seine Stellvertretung über Zeichen, Zeichensystem, Semiotik des Theaters)
Dieses auf Repräsentation ausgerichtete Denken gehorcht einer Logik der Zweiteilung, die das Eine zu Zeigende an die Existenz des Anderen, vermeintlich nicht Sichtbaren binden muss. Das nicht Sichtbare muss ausgeschlossen und in Dienst genommen werden, um Aussagen über Bild, Bewegung und Zeit treffen zu können. Das sichtbar Gemachte spricht somit im doppelten Sinne über das nicht sichtbar Gemachte, es benutzt es sowohl als Medium wie auch als Objekt. Das Medium bildet dabei eine auf die Information reduzierte Hülle, einen Container, einen Zeichenträger für das sichtbar zu Machende, wird aber gleichzeitig das Objekt, über welches das sichtbar Gemachte zu kommunizieren meint. Der Körper ist, noch einmal, damit Träger eines Bildes, das den Körper repräsentiert. Die Lücke zwischen Bild und Körper ist nach dieser Logik nicht zu schließen, da sie geradezu der Motor ist, damit ‚der Körper’ auf der Bühne sichtbar gemacht werden kann. Der Körper sozusagen als Bild. Die Lücke, der Unterschied ist entscheidend für die Funktionsweise der theatralen Darstellung.
Man kann in diesem Zusammenhang von ästhetischen Oberflächen, von Bildpolitiken sprechen, welche die Körperwahrnehmung informieren und ideologisieren, ins Bild stellen: Das sei am Beispiel des kulturell gemachten Bilds der Frau hier kurz erläutert, womit sogleich deutlich wird, dass die ästhetische, sinnliche Wahrnehmung und Verfertigung immer einer Politik sowohl unterliegt, als auch diese herstellt.
Kurzer kulturhistorischer Exkurs
Zusammenhang von Körper und Bild am Beispiel des Schwindeltheorems. Im 19. Jahrhundert, in jenem Saeculum, in welchem das Kino erfunden wurde, wurden so einige Zauberkräfte darauf verwendet, Frauen zum Verschwinden zu bringen. Auf den Jahrmärkten drängelten sich sog. Frauen ohne Unterleib, in die Kliniken dagegen wurden Frauen mit angeblich zu viel Unterleibskräften gedrängt. Während der Jahrmarkt die Frau gänzlich ihres Reproduktionsapparats beraubt, diesen zum Verschwinden bringt, attestiert die Klinik dem weiblichen Reproduktionsorgan einen unheilvollen Einfluss auf die psychische Gesundheit und muss diese sehr genau untersuchen, indem sie die Frau ausschaltet. Jahrmarkt und Klinik greifen dabei beide auf magische Techniken des Verschwindens zurück; während auf dem Jahrmarkt die untere Körperhälfte mit einfachen optischen Tricks ausgeblendet, invisibilisiert wird, will die Klinik ‚den weiblichen Körper’ mit der unsichtbaren Technik der Hypnose ruhig stellen, um ihn außerhalb kultureller Einflüsse überdeutlich in den Blick nehmen zu können. Die Magie des Unsichtbarkeitstricks wie auch die unsichtbare Zauberei der Hypnose lädt ‚die Frau’ monströs auf; des Unterleibs beraubt, in der Hypnose nicht ganz bei sich, schwebt sie als Monster zwischen Übersichtbarem und Nichtsichtbarem. (Monster und Monstrosität teilen sich etymologisch das fratzenhafte Gesicht, im zu sehr, zu deutlich Gezeigten) Das Bild der Frau – ein Schwindel.
Wie die Kulturtheoretikerin Christina von Braun an anderer Stelle ausgeführt hat, lassen sich zwei Bedeutungen des Wortes Schwindel ausmachen. Zum einen meint das mittelhochdeutsche Schwindel ‚vergehen’ oder ‚bewusstlos werden’, zum anderen bürgert sich im Laufe der Neuzeit die noch heute gebräuchliche Bedeutung von ‚Betrug’ ein. Im Schwindel steckt damit etymologisch sowohl das Verschwinden des Körpers und seiner Sinne wie auch die vorsätzliche Vortäuschung eines Sachverhalts. Der Körperschwindel spiegelt damit sowohl ein Bild vor, das nicht vorhanden ist, als auch ein Schwinde(l)n der eigenen Körperkontrolle. Dieser doppelte Schwindel, wie er seine Vorläufer auf dem Jahrmarkt in der optischen Täuschung wie auch der Klinik in der hypnotischen Aussetzung des Bewusstsein findet, prägt das Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende neue Medium des Kinos. In der technischen Ausbreitung und allen Klassen zugänglichen Konsumierbarkeit wird dieses Medium zum privilegierten Medium zum Vorschwindeln eines Frauenbilds. Die Magie der Bilder bringt ein Bild der Frau zum Vorschein, das es in seiner massenhaften Ausprägung bislang nicht gegeben hat.
(Anmerkung: So zeigt der Stummfilm in Ohnmacht fallende Frauen mit fahlen Gesichtern und weit aufgerissenen Augen und markiert sie als hysterische, dem Schwindel anheim gefallene Kreaturen, stumm, im Bild verstümmelt. Die besondere Beachtung des weiblichen Reproduktionsorgans, in seiner Abwesenheit auf dem Jahrmarkt, in seiner besonderen Wirkweise in der Klinik, geht hier eine unheimliche Allianz mit der Reproduzierbarkeit des Mediums und der Bewegungsbilder ein.)
„Die Frau“ kann damit nicht gesehen werden. Nicht, weil sie per se unsichtbar wäre, sondern weil sie nicht ins Bild gesetzt werden kann, ohne immer schon ins Bild gesetzt zu sein. Sie ist im Bild der Geist, der immer wiederkehrt. The ghost in the machine. Diese Wiederkehr, ohne jemals ankommen zu können, diese über die Figur der Abwesenheit gewendete Präsenz ‚der Frau’ ist das Merkmal einer symbolischen Bildpolitik, wie u.a. das Kino oder die Werbung sie hervorbringen. Die Frau wird zu ihrem eigenen, neidvollen Verlust: sie wird begehrt als etwas, was man selbst nicht hat und nie wird sein können.
(Anmerkung: Con celui qui voit, schreibt Lyotard über das Diorama Etant Donnés von Duchamps, dumm ist der, der schaut. Er ist dumm, weil er nur das sehen kann, was er zu sehen begehrt, nicht das, was ist. Der Blick in dieses Diorama, in welcher vor dem Hintergrund einer Wiesenlandschaft ein weiblicher Akt mit gespreizten Schenkeln zu sehen ist, der in seiner linken Hand eine Lampe trägt, erfolgt auf der Höhe der Vagina. Lyotard meint aber: eine Fotze ist der, der schaut, weil er im Grunde nichts Anderes Phantastisches sieht als die eigene Erregung darüber. Das Begehren findet dort statt, wo der Blick nicht hinkommt.)
Die Arbeitsansätze von Eszter Salamon zielen dagegen darauf ab, auf die Lücke zwischen dem sichtbar Gemachten und dem nicht sichtbar Gehaltenen hinzuweisen, auch, aber nicht nur in der Geschlechterwahrnehmung. Entsprechend fasst sie Körper, Bewegung und Zeit, in der Diktion des Philosophen Maurice Merleau-Ponty, als chiastisch, verschmolzen auf, in welchem dem Sichtbaren immer schon das Unsichtbare eingeschlossen ist, wie auch dem Unsichtbaren immer auch das Sichtbare zu eigen ist. (Beispiel Merleau Ponty: Auge und Geist. Die Fliese, die in ihrer Erscheinung nur gesehen werden, die weder etwas verbirgt, noch etwas erhellt, und gleichwohl im Wasser in Erscheinung tritt. Die Fliese hat einen Leib, hat chair, das nicht von seiner Erscheinungsweise zu trennen ist.)
Eszter Salamon fragt nach den Bedingungen von Sichtbarkeit, um diese auf dem Theater sichtbar zu machen und untersucht auf der Bühne die Sichtbarkeit der Sichtbarkeit. Unter Sichtbarkeit versteht sie ein Konzept, in welchem dem Sichtbaren immer schon das Unsichtbare, seine Kehrseite, sein Hinten eingeschlossen ist, wie auch dem Unsichtbaren bereits das Sichtbare zu eigen ist. Ein Barthesianischer Schrägstrich, der trennt und vereint, ausschließt und berührt zugleich. Für ihre Arbeiten interessiert sie die ununterscheidbare Differenz, die sich aus dem gleichen Modus der Darstellung und Wahrnehmung speist. Noch einmal: dem Denken der Repräsentation unterliegt damit die Annahme einer eindimensionalen Bezüglichkeit, die eine übergeordnete Beziehung zwischen dem Sichtbaren und nicht Sichtbaren herstellt; ihr geht es dagegen um die wechselseitige, sich umfassende Beziehung der Differenz, die nicht das eine auf das andere bezieht: Der Referenz der Repräsentation steht damit die Differenz der Unsichtbarkeit gegenüber.
(Anmerkung: das Dritte, das Unterscheidende, das erkenntnistheoretisch jedoch nicht ausgeschlossen wird. Das Differenzial (Derrida) als Stichwort, das unterscheidet, der Unterscheider selbst rückt in den Blickpunkt).
In ihren (frühen) Solo- und Gruppenarbeiten hat Eszter Salamon daher versucht, im Modus des ‚Unsichtbaren’ zu entwerfen. Das bedeutet, dass sie auf der Bühne kein Referenzsystem einführt, auf welches sich Körper, Bewegung und Zeit beziehen ließen, das außerhalb deren Un/Sichtbarkeit wäre. Die ununterscheidbare Differenz von Sichtbarem und Unsichtbarem gibt nichts zu sehen, und das buchstäblich. Es ist nichts zu sehen, was sich begrifflich als etwas lesen, einordnen ließe, und gleichwohl gibt es nicht Nichts zu sehen. Das, was zu sehen gegeben wird, entzieht sich zugleich seinem was.
Dieser ästhetische Modus lässt Salamons nackten Körper in What a body you have, honey eben zugleich hinten/vorne sein, er ist in seiner Geschlechtlichkeit zugleich geschlechtslos, dreht sein Gesicht zur Wand und ist unidentifizierbar. Dieser Modus lässt in Reproduction die Körperbewegung nicht zum Halten kommen, nicht in einzelne Bewegungssequenzen zerspringen und unterbindet die Zuordnung der vermeintlichen Kopulationsbewegungen zu männlich/weiblich, hält sie in Bewegung. Dieser Modus des Ununterscheidbaren synchronisiert die langsamen Tempi der Akteurinnen aus Nvsbl; ohne abzusetzen bleiben die Performerinnen in Bewegung und setzten buchstäblich die Zeit aus. Übrigens schon im Titel von Nvsbl in seiner gleichzeitigen Auslassung des Titels, durch das Fehlen von I unsichtbar sein will.
Die ununterscheidbare Sichtbarkeit, wie sie Salamons Arbeiten anstreben, führt entsprechend einen referenzlosen Körper auf, der nicht das Produkt einer Verkörperung ist. Verkörperung würde bedeuten, sich dem Bild entgegenzustellen, und damit dessen Logik weiter zu befördern. Dieser Körper wie in What a body you have, honey ist vielmehr ununterscheidbar different, in seiner Differenzsetzung bereits schon unterschieden. Entsprechend sind die langsamen Bewegungen, wie sie in Reproduction ausgeführt werden, nicht das Ergebnis einer Verlangsamung und damit in Referenz zu einer schnellen, womöglich als ‚Original’ gedachten Bewegung zu lesen. Ihr geht es darum, dass die Bewegung in der ihr eigenen, ununterscheidbaren Qualität sichtbar ist. Gleichermaßen ist das zeitliche Unisono der Gruppe in Nvsbl nicht der Effekt einer angleichenden Rhythmisierung von Körpern, die als Gruppe auftreten sollen, sondern dem Rhythmus des Körpers selbst unterworfen.
Wenn Körper sich nicht als das Andere des Bildes versteht, Bewegung nicht die Verkettung von Posen ist, Zeit nicht die lineare Fortschreitung von Momenten ist, dann bedeutet dies jedoch nicht, dass diese drei dominanten Systeme in Eszter Salamons Arbeit nicht aufeinander rekurrieren. Das Konzept der ununterscheidbaren Differenz würde zum wahrnehmungslosen Rauschen, tatsächlich zur Indifferenz führen, wenn Körper, Bewegung und Zeit ästhetisch nicht zueinander ins Verhältnis treten würden. Im Unterschied jedoch zur Referenzlogik, die Körper, Bewegung und Zeit nur über deren Abwesendes entwerfen kann, treten die drei Elemente im Modus der Sichtbarkeit zueinander und erzeugen sich selbst gegenüber Differenz. Die jeweiligen Systeme machen den ‚blinden Fleck’ wie Luhmann beispielsweise sagt, sichtbar, welchen ein System intern bei sich nicht wahrnehmen kann. Sie zeigen die Lücken in der Sichtbarkeit des jeweiligen Systems auf. Jedes System funktioniert damit wie ein Kontrastmittel, das die Bedingungen der eigenen Sichtbarkeit ans Licht holt. Dabei kontrastieren die Systeme nicht etwa, in dem sie zueinander in Gegensatz treten würden, sondern markieren jene Partien, jene Elemente, die genau in der Lücke die Differenz des Sichtbaren bestimmen.
Im bereits genannten Nvsbl führen die Tänzerinnen unisono sehr langsame Bewegungen aus, sie scheinen den Körpern ihre Zeit aufzuzwingen. Die überlange Zeit, die es braucht, um einen Arm zu heben oder eine Drehung der Hüfte auszuführen, unterwirft, so hat es den Anschein, das ganze Körpersystem unter das gegebene Bewegungstempo. Jedoch atmet der Körper in seinem organischen Rhythmus weiter, am Hals der Darstellerinnen sind die Schluckbewegungen zu sehen, ihre Augenlider schließen sich für den Bruchteil von Sekunden: die Körper können sich in ihrer Physiologie augenscheinlich nicht dem Regime der langsamen Gliedmaßen unterordnen, die im Körper unterschiedlichen Tempi von Atmen, Schlucken, Blinzeln werden jedoch erst über diese Langsamkeit sichtbar. Die jeweiligen Körper, normalerweise in ihrer physiologischen Konstitution unsichtbar, werden über die extreme Langsamkeit vor allem der Extremitäten in ihrer Körperlichkeit markiert. Gerade das sonst Unsichtbare bildet hier das Differenzmerkmal zum Sichtbaren. (Die physikalische Geschwindigkeit des Objekts: der von Susanne Bergengren aufgeblasene Luftballon, der entgleitet in seiner eigenen Zeit und darüber eine andere, objektale Zeit setzt.)
In Reproduction wiederum markiert der Körper die Bewegungsqualität und verhindert ihre Lesbarkeit. Obwohl die acht Frauen darin sog. Männerkleidung und teilweise Bärte tragen, ist ihr biologisches Geschlecht jederzeit erkennbar. Die von ihnen ausgeführten Bewegungen werden immer von der gegebenen biologischen Geschlechterbesetzung gekreuzt. Die weiblichen Körper lassen die vermeintlich männlichen Bewegungen ins Leere laufen und machen in dieser Differenz Bewegung doppelt sichtbar in ihrer geschlechtlichen Vorgängigkeit wie auch als reine Körperäußerung, die von ihrer zielgerichteten Funktion entbunden ist. Bewegung wird damit vom Körper abgelöst und als solche sichtbar.
Beide Vorgänge deuten darüber hinaus darauf hin, dass die Zeit nicht die unsichtbare Bedingung für Aktionen, Handlungen, Bewegungen ist, welche Körper ausführen. Sie geht auf Wahrnehmungsebene Körper und Bewegung nicht dergestalt voraus, dass sie a priori beide in Gang setzte. Vielmehr kann sie durch endlos scheinende, ohne auf eine Bedeutung hinauslaufende Bewegung des Körpers gedehnt werden und in ihrer temporalen Verlaufsform markiert werden, indem sie nicht als linear fortschreitend (Andauer), sondern als Kreisbewegung (Dauer) wahrgenommen wird.
„Since the beginning I speak to tell that this is the very end.“
Am Ende des Satzes steht das Satzende, wie die ganz langsam über die Bühne gezogene weiße Linie zieht sich dieser Satz jedoch durch Nvsbl, immer unterbrochen durch den Fluss der Zeit. Im Riss der Zeit wird er zwar gehört, aber nicht verstanden. Der Satz gerät zum Komma, er kommt zwischen die Bewegung, kommt dazwischen, ohne diese aber unterbrechen zu können. Der Satz ist am Ende, an sein Ende gekommen, wenn das Bühnenstück zu Ende ist. Erst von seinem Ende her ergibt er einen Sinn, wenn man sich die einzelnen Wörter gemerkt haben sollte. Erst am Ende wird sich die weiße, ‚weise’ Linie des Satzes zeigen, der als Grenzlinie Bewegung und Diskurs trennt, auftrennt und die Sinnproduktion im Publikum, der ersten Grenze des Theaters, von jener der Bühne unterscheidet. Aus der Rückschau des Publikums also erst ergibt der Satz, die Linie, darf man sagen: ‚die Sache’ ihren Sinn, welcher sich sonst im Moment, im Moment seiner Präsenz, seines Präsens, nicht gibt.
Und gleichzeitig ist jener Satz „Since the beginning I speak to tell that this is the very end“ nichts Anderes als der sich im Aufreißen der Zeit selbst setzende Sinn, der kein anderes Ende hat als seine eigene Äußerung, wenn man ‚end’ als Ziel übersetzt. To which end to you tell to speak? Nichts Anderes sagt dieses Ich, welches sagt, dass dies das ganze Ende ist, sein ganzes Ziel im Sprechen selbst liegt, das gesagt werden muss. Hier kommt aber auch das Ich zu seinem Ende, dieses I, das im Auge, im eye des Betrachters liegt, der auf der anderen Seite der weißen Linie sitzt.
Diese Arbeiten stellen sich zwischen diese Zweiteilungen von Bühne/Auditorium, aber auch, wie angedeutet wurde, von männlich/weiblich, vorne/hinten, einer/viele. Die Arbeiten, so kann man abschließend sagen, wollen den kulturellen Schrägstrich sichtbar machen, der das Eine vom Anderen zu scheiden scheint, zeigen das Differenzial des kulturellen Ausschließungsmotors als ein schräg gestelltes I, wie es in jenem S/Z, das Eszter Salamon bereits in ihrem Namen trägt, aufblitzt.
Ein kursives Ich formuliert the curse of the I, den Fluch des Ich: Wie bin ich ich, ohne als ich immer schon sichtbar reproduziert zu sein? Wie wird dieses Ich, the I, sichtbar im Unsichtbaren, das der Titel NVSBL als Buchstabe auslässt: N V S B L. Dieses I, das zum Invisible fehlt? Dem Diskursiven, das das Ich setzen möchte, Since the beginning … mangelt in seiner Identifizierung des Sichtbaren immer diese Sichtbarkeit des Kursiven. Es/zter Salamons Arbeiten wehren sich gegen jenes Sehen, das immer schon weiß, was es sieht. Sie blicken durch dieses was hindurch, indem sie es kursiv setzen.
Aus dem Vortragsmanuskript, präsentiert am Tanzhaus NRW Düsseldorf