A video lecture on the art of movies in the future

“When the discotheques are empty and the academies are desolate, the silence of the theatre will be heard again, which is the cause of its languages.” (Heiner Müller)

The silence Heiner Müller speaks of will be heard as breathing in the future. The theatre of the future does not speak. It rather inhales and exhales. It is a theatre of bulging chests. It’s a theatre of pneumatics.

There will have been attempts at this before in the 20th century. Take Peter Handke and his piece THE HOUR WE KNEW NOTHING OF EACH OTHER. Or the avantgarde of Samuel Beckett with the shortest play, which may call itself thus. Beckett’s absurd 35-second-scene BREATH premiered in the late 60s in New York. We hear the whimper of a baby, an audible in- and exhalation, another cry. These works will be referred to as pneumatic dance.

Just as they lift to speak the actors will be edited out, so that all we see is characters breathing in. In the future, films will be cut precisely in the moment a first sound would have been audible from the mouth. The word will be separated from the body so that only a breath will be heard and seen.

It is an oral breath, not a nasal one.

Only then films will reconnect with themselves in a kind of second revolution since the introduction of the talkies. The films will not be silent however, on the contrary. The audio track will be of great importance. Because while in silent films the lips move and pretend to be able to speak, in the films of the future the actors’ mouths will only open. Thus, the film of the future will not be silent but incredibly eloquent.

At first, one will start work on the classics. Let’s take SOLARIS as an example. They’ll cut out all dialogue and make the film more complete with every cut. Thus only breathing people are left. A close up of the face, the mouth slightly opening. Everything has already been said, and every word lies hidden behind these lips. The pneumatic SOLARIS will thus become a new paradigm. Then all the other films will be cut and therefore become complete. AL DI LÀ DELLE NÙVOLE, a late work of the moribund Michelangelo Antonioni, will get by entirely without dialogue, it will become much better, and much bigger. Only footsteps emerging from the noisy traffic, walking up a large staircase to the door of an apartment, we hear a knock, the sound of a door opening, then the piano. Close-up. The heads of a man and a woman turning to one another. These cuts will at first be referred to as cracks in the word-image-sense, and this necessitates an aesthetics of the breathed word that will have to be written, so that everything, everything can be understood. Of course, films with spoken dialogue will continue to be produced, they will be called B-movies.

Better known as blabla films.

There will be others where captions will be blended in, a lousy attempt to get in between the images, to smuggle the sense of words in between the breaths. Some will try to equate pneumo films with pornography, confusing the wordless moaning, absurd groaning, the lustful panting on display with the breath of pre-meaning. The mouth of pornography is one which must be stuffed, and this closure of openings will have nothing to do with the potentiality of speech, which in principle will remain inconclusive, just like the film in general.

As a result the entire acting profession will change. The mouth that breathes will now be called beautiful. A new notion of rhythm: when will the actor close his mouth again? An entire art of inhalation: soundless, or slowly taking in the air, or done so that the soft palate vibrates and a quiet but audible plosive is heard, or by inhaling the air through trembling lips in order to create a slight wind? These will be the nuances that will count.

PNEUMATIK (2009)

Deutsche Textversion

„Wenn die Discotheken verlassen und die Akademien verödet sind, wird das Schweigen des Theaters wieder gehört werden, das der Grund seiner Sprache ist.” (Heiner Müller, Brief an den Regisseur der bulgarischen Erstaufführung von Philoktet, 27. März 1983)

Das Müller´sche Schweigen wird in Zukunft als Atem gehört werden. Das Theater der Zukunft spricht nicht. Es atmet ein und atmet aus. Ein Theater des Pneumatischen. Es ist ein Theater, bei dem sich Oberkörper auswölben. Wie in einem Film, bei dem man die Schauspieler immer dann herausschneidet, wenn sie anheben zu sprechen, so dass man nur noch Figuren beim Luft holen sieht. Man wird in Zukunft genau da in den Film schneiden, wo der erste Laut aus dem Mund hörbar sein würde. Man trennt das Wort vom Körper, dass nur noch ein Atmen zu hören und zu sehen sein wird.

Es ist ein orales Atmen, kein nasales.

So erst werden die Filme zu sich finden, in einer Art zweiten Revolution nach der Einführung des Tonfilms. Die Filme werden aber nicht stumm sein, im Gegenteil. Auf die Tonspur wird es sehr genau ankommen. Denn während im Stummfilm sich die Lippen bewegen und so tun, als würden sie sprechen können, öffnet sich im Film der Zukunft nur der Mund der Darsteller. Der Film der Zukunft wird ja nicht stumm sein, sondern wahnsinnig beredt.

Man wird zunächst anfangen, Klassiker zu bearbeiten. Aus Solaris schneidet man also alle Dialoge heraus und macht den Film mit jedem Schnitt ganzer. Nur noch atmende Menschen. Großaufnahme aufs Gesicht, den Mund, der sich leicht öffnet. Alles ist bereits gesagt worden, und jedes Wort liegt vor diesen Lippen verborgen. Nicht hinter ihnen, weil es keinen Sinn macht, diesen sagen zu müssen. Der pneumatische Solaris wird so zum neuen Paradigma. Dann werden alle anderen Filme beschnitten und damit erst komplett. Jenseits der Wolken, ein Spätwerk des todgeweihten Michelangelo Antonioni, wird gänzlich ohne Dialoge auskommen, viel besser, viel größer. Nur noch Schritte, die sich vom Verkehrslärm lösen, über ein großes Treppenhaus vor eine große Wohnungstür führen, ein Klopfen, das Geräusch einer sich öffnenden Tür, dann die Oboe. Großaufnahme, die Köpfe einer Frau und eines Mannes, die sich einander zuwenden. Man wird diese Schnitte zunächst als Risse im Wort-Bild-Sinn bezeichnen und daraufhin eine Ästhetik des geatmeten Wortes schreiben müssen, um alles verstehen zu können.

Natürlich werden weiterhin Filme mit gesprochenen Dialogen gedreht, die man dann B-Movies nennen wird. Blabla-Filme. Es wird andere geben, in denen man Zwischentitel einblenden wird, ein lausiger Versuch, zwischen die Bilder zu geraten, zwischen die Atemzüge doch noch den Wortsinn einzuschmuggeln. Einige werden die Pneumo-Filme mit Pornografie gleichzusetzen versuchen, das wortlose Gestöhne, absurde Ächzen mit dem Atem, die zur Schau gestellte, hechelnde Wolllust mit dem Atem des Vor-Sinns verwechselnd. Der Mund der Pornografie ist ein zu stopfender, und der Verschluss der Öffnungen wird nichts mit der Potenzialität der Rede zu tun haben, die prinzipiell unabgeschlossen bleiben wird wie der Film.

Das ganze Schauspielergewerbe wird sich daraufhin verändern. Schön wird jetzt der Mund genannt, der atmet. Eine neue Auffassung von Rhythmus: Wann macht der Schauspieler den Mund wieder zu? Eine ganze Kunst des Luft holens: Tonlos, langsam eingesogen oder indem das Gaumensegel zum Schwingen gebracht wird, so dass ein leiser, aber vernehmlicher Verschlusslaut zu hören ist oder indem die Luft an bebenden Lippen vorbeiströmt, damit ein Wind entstehen kann? Auf diese Nuancen wird es ankommen. Es wird daher auch ein florierendes Synchrongeschäft in Deutschland, Österreich oder Italien geben, jenen Ländern, die traditionell fremdsprachige Filme in ihre Landessprache übertragen haben. Weil auch Atmen kulturell konstruiert sein wird.

Es wird dazu Versuche gegeben haben auf dem Theater. Peter Handke und Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten. Oder die Avantgarde von Samuel Beckett mit dem kürzesten Theaterstück, das sich als solches bezeichnen darf. Becketts absurde 35-Sekunden-Szene Atem (Breath), Ende der 1960er Jahre in New York zur Uraufführung gebracht. Das Wimmern eines Babys, vernehmliches Ein- und Ausatmen, noch ein Schreien. Diese Arbeiten werden total radikalisiert werden, tonlos werden, und man wird sie als pneumatischen Tanz bezeichnen.

Und dann wird jemand bemerken, dass das Theater der Zukunft im Tanz schon von Anfang an verwirklicht war. Nicht im sich auslassenden Tanz, im Ausdruck der Ekstase, der Verausgabung, der Auslassung von Kultur. Sondern im Tanz der Auslassung von Sprache. Tanz wird nicht das wortlose Medium gewesen sein, das von stummen, stumpfen Körpern ausgeführt wird, die insofern ein Rätsel des Sinns ausstreuen, als sie eben im, durch Nichtssagen Bedeutung erzeugen. Das wäre die nichts sagende Pantomime gewesen. Denn der Pantomime verspricht, dass er schweigt. Das ist die Bedingung seines Theaters, ohne welche er nicht spielen könnte, seine Kunstgattung nichts wäre. Er verlegt den Wortsinn lediglich in den Bildsinn, lässt diesen aber nicht aus.

Der Tänzer dagegen wird weiterhin verschweigen, dass er spricht. Gerade darin wird sein Tanz geborgen bleiben, weil er in jedem Moment den Mund aufmachen könnte, um zu sprechen. Er wird es ja weiterhin vermögen. Sein Schweigen wird beredt sein, weil in seiner atmenden Stille die Potenzialität des Sinns liegt. Nicht indem, was er tun wird; das werden Bewegungsrhetoriken bleiben, vielleicht, die wohl energetisch kommunizieren (was werde ich davon wissen). Wenn der Tänzer zeitweilig heftiger atmen wird als andere Bühnendarsteller, dann nur aufgrund seiner Anstrengungen, sich Luft zu verschaffen. Dazu muss er ja den Mund öffnen. Es ist die Mechanik der Lunge, die ihn dazu zwingt, sein Blut mit Sauerstoff zu versorgen; jene Mechanik, die der des Manzoni’schen Luftballons gleicht, der von einer Maschine aufgepumpt wird. Schiere physiologische Notwendigkeit, mit jener körperlichen Erschöpfung parallelisiert, welche in der Vergangenheit dazu verführt hat, Tanz außerhalb des Sprachlichen zu platzieren.

Es wird aber das Einatmen sein, welches dem Sprechen vorhergeht, dem der Tänzer hinterher geht, weil er in der Sprache unterwegs ist. Er wird vor der Sprache sein, die nur für ihn bestimmt zu sein scheint, weil er sie nicht auszusprechen braucht. Sein Schweigen ist keine Pause zwischen den Wörtern, keine Unterbrechung zwischen Sinn und Sinn, wie dies etwa das Tanztheater versucht hat. Dort hat der Atem den Sprecher versorgt, um einen Sinn auszusagen, der jenseits der Rampe seinen Ausgang genommen hat und dorthin über den Umweg über die Bühne wieder hinkommen sollte. Der Tänzersprecher musste zwischen dem ‚und dann’ und dem ‚und dann’ Luft holen, um seine parataktischen Anekdoten über sich oder über sich und die Welt erzählen zu können. Das war die Sprachpolitik der Verlautbarung: ein Symptom des Sozialen, das sich von außen auf den Körper legte, sich auf ihn presste und diesem ein Geständnis herausquetschte. Der Konzepttanz wiederum sprach über die Konstruktion des Sozialen, erhob sich aus dem Anekdotischen in das ideologische Zeigen der Verfertigung des Sozialen. Auch er war genauso wenig pneumatisch wie die vielen im zeitgenössischen Tanz angewendeten Atem-Körpertechniken. Diese waren Techniken zur Selbsterfahrungsproduktion, die den Körper mit dem Geist verbinden sollten, während es sich beim Konzepttanz um eine Erfahrungsnegationsmaschine handelte. In seinen Grundzügen wollte er den Begriff zum Tanzen bringen, das Denken zu (Nicht-)Bewegung gerinnen lassen. Beide beschäftigten sich mit dem Körper, wenn auch von je gegensätzlichen Standpunkten aus betrachtet: Organisches gegen Mentales. Holistische Vorsprachlichkeit gegen denkende Sprachtheorie. Der Atem des Lebenstanzes gegen die konzeptionelle Entleerung des Tanzes. Dauernde Überfülle gegen dauerndes Luft-Herauslassen. Die Stummheit der Innerlichkeit desjenigen, der nicht wusste, dass er sprechen konnte gegen das intellektuelle Gerede, das über alles etwas zu sagen hat.

Nichts davon wird mit der Pneumatik von Tanz zu tun haben. Das pneumatische Theater, der Tanz wird nicht einfach mechanisch den Sinnballon leeren. Hier wird der Sinn an die Luft gesetzt werden, oxydieren im Mund des Tänzers, an den Lippen, an den Zähnen vorbei zur Zunge hin streifen, diese berührend, von dieser aber nicht in Schwingungen versetzt werden. Man wird das Zischen bis in die letzte Reihe hören. Die Öffnung des Mundes wird den Körper mit der Welt verbinden, deren Luft dieser einziehen wird. Er wird den Sinn küssen, allein mit ihm tanzen, mit ihm allein. Der pneumatische Tanz wird ein Tanz der Einsamkeit des Sinns bleiben.