Ein Brief an Jack Hauser anlässlich seiner Ausstellung im Lentos-Museum
vor ein paar Tagen hatte ich das Vergnügen, die Eröffnung der Ausstellung von Jack Hauser im Lentos-Museum zu Linz besuchen zu dürfen. Mir ist dabei aufgefallen, dass der Name des Museums einen Zusammenhang von Essen und Kommune herstellt. ‚Les lentilles’, die Linsen, sind bekanntlich eine Hülsenfrucht, die wohl auch der Stadt an der Donau ihren Namen geliehen haben – zumindest bietet sich ein Gleichklang an von Linz und Linsen. Das Haus, wunderschön, wäre demnach die Schote, in welcher sich die Frucht entwickeln kann. Ein schöner Gedanke, auch wenn ich morphologisch nicht weiß, ob ich gerade Linsen mit Bohnen verwechsle. Sie merken, worauf ich hinaus möchte, denn Ihr Name ist ja auch eine österreichische Sprachvarietät eines Gemüses, das im Deutschen eigentlich Meerrettich genannt wird, ein scharfer, als Würze verwendeter Rettich, den ich sehr gerne mag, z.B. zu den Wiener Frankfurtern, die in Deutschland wiederum Wiener Würstchen genannt werden.
Linsen mit Meerrettich scheinen mir eine schöne Mahlzeit abzugeben, auch wenn ich persönlich kein Freund von Eintopfgerichten bin. Sie warten nun sicherlich schon die ganze Zeit auf den Clou, der diese Metaphorik auflösen könnte in eine Schlussfolgerung, der das Sprachbild als rhetorischen Gang sichtbar machen würde, um in eine Argumentation zu münden. Anbieten würde sich hierfür vielleicht Eintopfgericht als ein Bild für künstlerisches Allerlei, aber vor allem natürlich könnten Kren und Linz ein begnadeter Einstieg für eine kunsttheoretische Abhandlung bieten, die das Kulinarische und die Kunst zu erörtern im Schilde führte, darin den Genuss von Kunst engzuführen mit dem Konsum, der Einverleibung, der geistigen Nahrung. Entsprechend wäre dann der Einstieg gerechtfertigt, weil sich doch während Ihrer Eröffnungsperformance alles um Namensumwidmungen sich drehte, um eine Umwidmung, wenn man das große Wort gebrauchen darf, von Namen, Personen, Situationen, Gedanken.
Sie wissen aber besser als ich, dass Sprachbilder allzu gerne hinken, einen Fuß, manchmal den Versfuß, nach sich ziehen, einen ganzen Jambus (ist das nicht das lateinische Wort für Bein?) haben, ohne selbst rhythmisch zu sein. Ich habe mir nun die ganze Zeit überlegt , ob ich den letzten und Teile des vorletzten Absatzes nicht streichen sollte, auslöschen, weil ich den Eindruck habe, dass ich mich damit in eine Sackgasse manövriert habe, bevor ich überhaupt in meinen Brief eingestiegen sein könnte. Aber dann habe ich mich an die Arbeiten von Jack Hauser erinnert, die nie auch nur etwas zurücknehmen, sobald es in die Welt gesetzt wurde. Die Dinge, so scheint es, die Jack Hauser anfasst, sollen die Spuren des Angreifens (so sagt man doch im Österreichischen, nicht wahr?) behalten, tragen, man soll die Fingerabdrücke darauf sehen, um zu verstehen, dass Begreifen vor allem von einer Geste des Körpers herkommt, vom Körper her verstanden werden wird.
Also lasse ich alles so stehen, damit sichtbar werden kann, wie sich mein Gedanke allmählich verfertigt während des Schreibens, ich ihn rückblickend nicht zu übermalen versuche und den Angriff meines Denkens daran offen(sichtlich) lasse. Denn Smartness, Cleverness sind so viele in der Lage darzustellen, doch wenige, so scheint es, sind auch bereit, den Weg dorthin zu belassen, ihn als Weg zu lassen und damit sich auch der Gefahr des Langeweilens, ja auch des Dummen auszusetzen. Erlauben Sie mir daher, roh zu bleiben, jedoch nicht im Sinne von brutal, sondern in der Rohheit meiner Gedanken, in ihrer Rauheit damit auch, wenn Sie erlauben, einen kleinen Barthes’schen Einschub zu machen, der mittlerweile einen Bart hat. Auch das letztere flache Wortspiel sei möglich darin. Die Rauheit, besser: Körnung, dieses Korn, dieses Korn im Getriebe des Sinnes, dass den Ablauf der glatten Deutung immer wieder unterbricht, dieses ungedroschene Korn, in seiner Schalenhaut wie die Linsenfrucht in ihrer Hülle, kommt einem immer wieder in die Augen, wenn man sich die Arbeiten des Hauser anschaut. Ich habe das an anderer Stelle nicht Korn genannt, sondern Nase, Gussnase wie die Gussnase bei Rodin, der erste (soweit ich weiß) Bildhauer, der die Nahtstellen nach dem Guss nicht wegschleift, sondern an der Skulptur selbst belässt. Das Material spricht sowohl von sich wie es auch damit der Kunst gelassen wird und über sich spricht. Das ist die Erbschaft der Moderne könnte man sagen, dass die Nähte, die Nasen gelassen werden.
Ich habe bei der Eröffnung viele Nasen gesehen, die ins Auge gefallen sind, viele Körnungen, zum Teil eines grobes Korns. Und wenn man weiß, dass aus Korn, so man im Deutschen auch das Getreide nennt, immer wieder gerne Schnaps gebrannt wird, Spirit im Englischen, dann erschließt sich der Titel einer zeitgleichen Ausstellung im Linsen-Museum fast wie von selbst: The Spirit of Pop, der seligmachende Geist des Pop, nicht immer so hochprozentig, wie der Titel es verspricht, manchmal gar ein rechter Fusel des Pops, an dem man sich leicht besaufen kann, allerdings dann auch mit Kater am nächsten Tag erwacht. Ich darf das deswegen sagen, weil ich die Möglichkeit wahrgenommen habe während der Ausstellungseröffnung meine Augen ein wenig spazieren zu tragen, um zu sehen, was mir noch ins Aug’ (darf ich sagen: vor die Linse im Lentos?) hätt’ kommen können. Stehen geblieben bin ich vor den Rauschenbergs, Oldenburgs, ja Warhols, mitsamt einer Besuchergruppe aus dem oberösterreichischen Umland, denen man die Kunst vermittelt hat. Es handelte sich um Kollegen Ihrerseits, Herr Kren, da sie im kleinen Raum des J.H. aufpassen mussten, das will ich zu Ihrer Ehrenrettung gleich sagen. Diese Vermittlung bestand darin, die Körnung der Farben, ihr Pigment, das ins Auge hätte fallen können, ganz in den Dienst des Sinns zu stellen. Warhols Siebdrucke der Monroe, dermaßen glatt und ohne jede Körnung mehr, schienen hier zum größten, augenscheinlichen Stolperstein für die Wahrnehmung in den Weg gelegt. Jedenfalls war das mein Eindruck in der Werkeinführung durch die bemühte Dame, welche die bebrillten Sakkoträger (verzeihen Sie, auch Sie trugen Anzug mit Krawatte und Brille an diesem Abend) aufforderte, zu beschreiben, was sie sahen. Offenkundig nichts, wie mir klar wurde, denn es gibt auf den Siebdrucken nichts Anderes zu sehen als eine längst vergangene Geschichte. Anders als die Geste der Entschuldigung dieser Dame, die darauf aus war, moderne Kunst zu rechtfertigen, war mir klar, dass das Schweigen dieser Leute auch darauf zurückzuführen war, dass sie das Ganze schon kannten, in all seinen Variationen und Strategien, aus einem Medium, das zuhause in ihrem Wohnzimmer sie übervisualisiert. Es scheint jedem klar zu sein, dass das Fernsehen schon lange diese Strategien der Übermalung, die überbunte Körnung diese Körner abgeschliffen hat zu einem konsumierbaren Bildchen. „Was war Kunst?“, heißt der Titel eines Büchelchens, das ich mir im LENTOS gekauft habe, und die Frage ist durchaus berechtigt angesichts des Bilderfusels, an dem man sich, Rauschenberg zum Trotz, nicht mehr berauschen kann, weil der Berg schon längst eingeebnet wurde, er nicht mehr bezwungen werden muss. Dieser Spirit des Pops ist verflogen, abgestanden, der Geist, der aus dieser Flasche entweichen sollte, hat sich verzogen. Übrig bleiben die Kustoden, die Hüter dieses Geistes, Küfer und Kunstkellereibesitzer, die das Depot voll haben mit diesen sauren Tropfen, sie aber immer aus der Flasche lassen müssen, denn das ist der Job dieser Kellergeister.
Als ich diese Führung, die leider keine Entführung war, ein Spiel, das Herr Hauser so gerne mag, hinter mir gelassen habe, etwas ratlos, um ehrlich zu sein, um dann wieder in den von Ihnen kustodierten Raum zu kommen, bin ich an dem eben bereits erwähnten Titel der Ausstellung stehen geblieben, er war der besseren Lesbarkeit halber nämlich mit großen Lettern an die Wand geklebt. Ich bin fasziniert von Namen und dem Spiel, das sie ermöglichen, das ist Ihnen bestimmt bereits aufgefallen. Mit einem Auge habe ich in Herrn Hausers Raum und auf die Menschen darin gestarrt, mit dem anderen den Titel ins Auge genommen. Sie standen auf der anderen Seite dieser Wand, auf ihrer Rückseite, drehten ihr und der Schrift den Rücken zu, spiegelten darauf den Titel und machten daraus, in meinen Augen, ein „The Pop of Spirit“. Natürlich ist diese Umdrehung sehr willkürlich, und sie stellt sich auch nur ein, wenn man beginnt zu schielen, an den Buchstaben vorbeizuschauen und gleichzeitig alles, das Vorne und das Hinten, das Oben und das Unten, das Sichtbare und das Unsichtbare in den Blick zu nehmen versucht. Das Rückseitige Pop of Spirit, auf der Kehrseite von Pop, dessen Hintern, der sichtbar macht, dass Pop am Arsch ist, der Geist poppt vor sich hin wie Maiskörner (sic!), die man in die Mikrowelle legt, damit sie aufgehen. Was mit Linsen, jenen lentilles des Lentos, passiert, die man einem ähnlichen Verfahren unterzieht, durfte ich jedenfalls bewundern: sie quellen auf, dehnen sich, geraten außer Form und wissen nicht mehr, wer sie sind. Die Linsen des Lentos sind es gewohnt, an Ort und Stelle in ihren Hülsen zu bleiben, fein säuberlich aufgereiht, in Reih und Glied, sie dürfen nicht herauskommen. Wenn das Korn herumspringt, poppen will, dann betrachtet man es nicht, schaut es nicht an, sondern ihm hinterher. Es ist nämlich in Bewegung und nie an seinem Platz. Vielleicht wie die jungen Menschen, die irgendwann durch die Räume gehüpft sind, nur geerdet mit dem Zeitungspapier, das sie sich um den Fuß als Fußnote zur Kunst gewickelt haben. Ich hatte jedoch eher den Eindruck, dass sie zuviel gerochen haben an dem Fläschchen, das Herr Hauser ihnen aufgezogen hat, leicht beschwipst von der Möglichkeit, endlich ein Gläschen in der Gemeinschaft anderer Geister trinken zu dürfen.
Nun also springt dieses Korn herum, durch den von Ihnen kustodierten Saal, nach seinem Gusto und bleibt nicht an Ort und Stelle, immer der Nase nach, von der ich vorhin versucht habe zu sprechen. Diese Nase schießt aus dem Gesicht hervor, schnüffelt kurz an Kren und Linsen und beginnt ob der Schärfe des Meerrettich zu laufen, sie will in ihrer Bewegung den Sinn vom Sinnlichen trennen, scheidet, als ordentliche Nase hat sie auch eine Scheidewand, das, was Sinn zu produzieren vermag, von dem, was an ihm dran hängt, vom Popel des Geistes, kleiner Pop of Spirit, und lässt den Rotz hängen. Wenn Sie, Herr Kren, ein Video, das sie abspielen wollen, erst zu seinem Beginn, seinem eigentlichen Anfangsort, spulen müssen, dann sehen wir den ganzen Rotz des Videos, den wir eigentlich gar nicht sehen wollen, den Sie uns aber dennoch zeigen. Wir sehen die Nasen des Vorspulens an uns vorbei ziehen, die Schlieren auf dem schnellen Bild, Tempospuren, Spuren auf dem Tempo (so nennen wir in Deutschland das Papiertaschentuch), Hinterlassungen.
Wir sehen auch die Nase des Nachspulens, wenn ich die Bildcollage so bezeichnen darf, die an besagter Rückseite von Herrn Hauser aufgehängt wurde. Das Nachspulen des bereits genannten rauschenbergschen Prinzips. Noch einmal zeigen, hinterherspulen vielleicht, das geht nur an dieser rauschlosen und doch geräuschhaften Rückseite vom Pop of Spirit, dieser umherhüpfenden Bewegung des Geistes. Die aufgeklebten Zeitungsausschnitte und Überschriften, die unkenntlich sind, die Zeichnungen und Malereien, die unterschiedlichen Formate der Bildträger und natürlich die Risse dazwischen, die gewissermaßen den Rauschenberg durchlassen und an ihm vorbeiziehen, hinter sich lassen. Hier stößt der Bildsinn aneinander, unvermittelt, will die Lücke aber nicht schließen, dieses Korn dazwischen, die Bilder reiben sich aneinander und behaupten doch ein Großes, Ganzes. Ich muss mich selbst in Bewegung setzen, um diesem Bild folgen zu können, weil es zu groß ist, um es zu anzuschauen; ich muss ihm hinterher schauen, diesem Pop-Corn of the Spirit, der hinterlassenen Zeit, die die Zeitungsartikel anzeigen, der Zeit, die ich in meiner Bewegung hinterlassen muss, der Nase, die beständig weiter läuft, noch immer läuft, an mir vorbei läuft und ich sie jetzt einholen muss, weil ich nicht ohne sie weitermachen kann.
Ich muss sie suchen gehen also, daher verzeihen Sie, wenn ich hier Schluss mache und den Text nicht mehr überarbeite, ihn nicht mehr durchlese. Ich weiß, dass Sie dafür Verständnis haben, wenn ich an dieser Stelle keine Pointe, keinen Punkt setze in meiner Schreibe. Worauf laufen die Dinge denn eigentlich hinaus, wenn nicht auf sich, auf den Lauf der Dinge?
Beste Grüße!