Die 5. Ausgabe der Tanznacht Berlin, kuratiert von Peter Stamer

In December 2008, Tanzfabrik opened Tanznacht Berlin in the back then unrefurbished Uferhallen Wedding. For the first time, curator Peter Stamer turned the ‘long night of dance’ into a four day festival of contemporary dance in Berlin – and added a Trailer Park into the mix. A dozen of old mobile homes were dragged onto the former tram maintenance shafts and remodeled individually by dancers and choreographers: a piazza for recreation, encounter, and sleep overs during the festival.

KUNST IST SCHÖN,
macht aber viel Arbeit, hat der notorische Karl Valentin gesagt. Das galt auch 2008 noch. Und die Arbeit hatte sich gelohnt: Die Tanznacht, damals zum fünften Mal von der Tanzfabrik Berlin veranstaltet und zum ersten Mal von Peter Stamer kuratiert, hatte sich 2008 von ihrem bisherigen Spielort verabschiedet und war in die Uferhallen gezogen. Eigentlich hätte man der BVG noch im Nachhinein dafür danken müssen, dass sie sich von ihren ehemaligen Zentralwerkstätten getrennt hatte; ohne diese Trennung hätte man die tanznacht berlin 08 nicht als mehrtägige Hoch-Zeit des zeitgenössischen Tanzes im Wedding planen können. An vier Tagen zeigten wir also wichtige und neu zu entdeckende Positionen von Choreografen, die in dieser Stadt (noch immer) leben und arbeiten. Entgegen der vergangenen Tanznächte aber präsentierten wir bei den Bühnenformaten nur abendfüllende Produktionen, darunter eine Uraufführung, mehrere Berlinpremieren und Erstaufführungen.

Wir wünschten uns, dass das Publikum zeitgenössischen Tanz am Ende daran maß, ob es seine ‚Zeit genossen’ hatte. Nicht nur nach dem Besuch der Abendvorstellungen, sondern auch in der restlichen Zeit, in welcher etliche andere Veranstaltungsformate entwickelt wurden. Wie die Cafeteria, die Halle 660 oder der Hildebrandtunnel stand auch ein Trailer-Park in den Räumen der so genannten Fertigmacherei offen: Dort hatten Choreografen und Tänzer acht Wohnwagen für die Kunst und ihre Besucher (bezugs-)fertig gemacht. Inmitten der Caravans öffnete sich eine Piazza für nächtliche Konzerte oder Oral Poetry, ein täglicher Treffpunkt für alle, die vor, zwischen und nach den Veranstaltungen etwas Anderes entdecken wollten.

Körperkunst und Trailerpark
Peter Stamer kuratiert die Berliner Tanznacht 2008 und schafft Räume zur Vermittlung von zeitgenössischem Tanz

von Tobias Schwartz

“Zeitgenössischer Tanz weckt heute in der öffentlichen Wahrnehmung alles andere als ein breites Interesse. Ein Grund liegt für den Außenstehenden auf der Hand. Dem nämlich begegnet er häufig als hermetisches Phänomen, das mit Schönheit unmittelbar nur noch wenig zu tun hat und dessen Inhalte sich schwer vermitteln. Wenn man aber aus dem Tanzbereich stammen muss, um den Tanz zu verstehen, sind die Wirkungsmöglichkeiten beschränkt. Der irritierte Laie schaut sich womöglich lieber Choreografien kanonisierter Namen an. Die sind dann zwar auch zeitgenössisch, die Künstler aber besitzen bereits den Nimbus des Klassikers. Vielleicht kann man auch mutmaßen, dass viele Arbeiten auf großen Bühnen einerseits spektakulärer, andererseits konventioneller daherkommen. Im Gegensatz zu experimentellen Formaten im Off-Bereich, die Gesprächsbedarf nach sich ziehen.
Diese Problematik beschäftigt den Tanznacht-Kurator Peter Stamer. Ein ambitionierter Vermittlungsansatz ist gewissermaßen Konzept. Stamer will nicht nur Produktionen zeigen, erstmalig übrigens in voller Länge und nicht im Trailer-Format, sondern Räume zum Austausch schaffen und die Aufmerksamkeit auf die Probleme des Tanzes lenken. Konkret stellt er dazu knapp zehn von Künstlern aufbereitete Wohnwagen auf und zwar in den Weddinger Ufer-Hallen, einst Hauptwerkstätten der BVG, die mittlerweile mit Ateliers und Werkstätten der Kunstszene zur Verfügung stehen. Zwei riesige Hallen dienen als Aufführungsorte. Der Trailerpark ist Über-nachtungsmöglichkeit und zugleich Diskussionsraum wie die Cafeteria nebenan. Über vier Tage plant man hier einen intensiven inhaltlichen Austausch. Im besten Falle entsteht eine eingeschworene Dorfgemeinschaft. „Mir ist ein Zuschauer lieber, der sich zwei Vorstellungen anschaut und danach in der Caféteria das Gespräch sucht“, so Stamer, „als vier Stücke nur durchzusitzen, auch wenn das einnahmetechnisch für uns vielleicht lukrativer käme.“ Die Organisation der Tanznacht ist eine Teamarbeit, in der es darum gehen soll, mit den konzipierten Formaten kreative Rahmen für Begegnungen zwischen Künstlern, Kunst und Zuschauern zu setzen. Füllen müssen diese die Besucher und Künstler dann selbst.
„Die Aufführung ist mehr als das dahinter aufscheinende Konzept“, erklärt Stamer, „Sie entfaltet ihren ästhetischen Wert erst, wenn sie sich den Zuschauern zeigt. So ist sie gleichzeitig zu früh und zu spät. Zu früh, weil sie nie zur gleichen Zeit verstanden werden kann, in der sie gesehen wird. Zu spät, weil sie nie in jenem Moment gesehen werden kann, in dem sie verstanden worden zu sein scheint. Daher braucht der Zuschauer Zeit, sich mit der Aufführung auseinanderzusetzen, um das, was an ihr gleichzeitig zu früh und zu spät ist, mit seinem Verstehenshorizont zu synchronisieren. Vier Tage sind hierfür nicht genug. Aber sie sind ein Anfang.“
Allem Vermittlungsbedarf zum Trotz sieht Stamer im zeitgenössischen Tanz ein großes Potential. „Der Körper dient immer schon als Chiffre, weil er von allen Diskursen und Praktiken der Kultur durchlaufen und daher weder neutral ist noch nur auf sich selbst verweisen kann.“ Ihm geht es aber noch mehr um die Darstellungsformate, die den gleichen Mechanismen unterworfen sind wie die Körper selbst, und die zu diskutierenden Fragen, die damit einhergehen. Auch das jeweilige Format, das den Tanz repräsentiert, bestimmt die Choreografie und somit den Körper des Tänzers. Massen-Choreografien sind allein schon aus finanziellen Gründen schwierig zu verwirklichen, der Tanz schrumpft oft zum Studioformat mit ein bis zwei Akteuren. Das Sprechtheater steht übrigens vor einem ähnlichen Problem. Die zeitgenössische Dramatik ist an großen Häusern meist auf Studio-bühnen verbannt. Eine Folge ist, dass Autoren immer mehr kleinformatige Stücke produzieren und die Dramaturgen den Mangel an abendfüllenden Stücken für die große Bühne beklagen. Das soll nicht heißen, dass Tanz-Duette oder Studio-Formate schlecht wären. Es stellt sich nur die Frage nach den Hintergründen. Über die kann man diskutieren.

Magazin Tanzraum Berlin, Oktober 2008
Frank Schmid, Kulturradio RBB, über die Tanznacht Berlin 2008

Supported by Hauptstadtkulturfonds, Tanzfabrik Berlin