Ein achttägiges Resarchlaboratorium zu Fragen des künstlerischen Labors am Tanzquartier Wien

Das von Peter Stamer im Auftrag des Tanzquartier Wien im November 2006 initiierte Research-Projekt wollte die Grundbedingungen des Laboratoriums analytisch wie historisch aufarbeiten, kritisch hinterfragen und auf seine Erkenntnisleistung hin überprüfen. Es behandelte Fragen wie: Woher kommt dieses Paradigma des künstlerischen Research, in welchem methodologischen Denken ist es zuhause, welchen Begriff von Praxis und Theorie will es transportieren? Was bedeutet seine Politik, das Repräsentative hinter sich zu lassen, die Prozesspraxis zu stärken und die Produktverwertbarkeit selbst auszuschließen?

Die ‘LABORLEKTÜRE – LEKTÜRE DES LABORS’ von und mit Kattrin Deufert, Manfred Füllsack, Thomas Plischke, Peter Stamer und Katherina Zakravsky nahm sich der Wissensbedingungen und -möglichkeiten des künstlerischen Labors an. Im spezifischen methodischen Zugriff der Arbeitwoche fassten die TeilnehmerInnen das Researchformat dabei als einen Diskursgenerator auf, in welchem Texte, Anekdoten, Theoreme und idiosynkratische Redeweisen entstehen. In der abschließenden Präsentation trugen die Teilnehmenden aus den während der Woche geführten und in der Gruppe zirkulierenden Arbeitsheften eine ‚Lektüre des Labors’ vor. Lektüre wurde dabei im doppelten Sinne als gruppenspezifische, interpretative Lesart des Researchformats im Sinne eines Wissensdispositiv aufgefasst wie auch als szenische Lesung, in welcher die TeilnehmerInnen, nebeneinander an einem langen Tisch sitzend, die Texte vorlasen. Nach jedem Textabschnitt wechselte die RednerIn, so dass in der Leseperformance Autor und Vortragender, wenn überhaupt, nur per Zufall übereinstimmten. Der wiedergegebene Text blieb dabei unredigiert und ließ die ad hoc formulierten sachlichen Fehler oder Spekulationen bewusst stehen.

A:
HEFT 1
Ist es eine Erzählung von Italo Calvino, wo die Menschen – wenn es welche sind – auf Stelzenhäusern oder jedenfalls einige Meter über dem Boden hausen und von da oben auf die Erde herabschauen, weil sie die Erde lieben und schonen wollen? Die Beobachtung von oben herab ist nur der Nebeneffekt, der Hauptzweck ist dafür zu sorgen, dass die Erde von uns verschont bleibt.

B:
Es ist völlig offen, wie groß oder komplex ein System sein kann, um es zu einem Labor seiner selbst zu erklären. Die Folge ist nur, dass es unter Beobachtung steht, dass es zu sich selbst in einen seltsamen Abstand tritt. Wenn dem System das Labor erklärt wurde (wie man den Krieg erklärt), wird es sozusagen zu seinem eigenen Double, zu seiner eigenen Simulation – das Theater und sein Double??? Was uns aber wohl von Baudrillards Simulationstheorie trennt – erinnert sich noch jemand an das? – ist dieses teilprozessierte Double. Das ist die schmutzige, die hybride, die kontaminierte Simulation, der noch ein Klumpen des „Realen“ anhängt. Die reine, saubere Spiegelung und Künstlichkeit, der spekulative, spekulare, spektrale Rahmen, der die Simulation vom Simulierten trennt, ist brüchig und durchlässig und der Klumpen Metonymie kann nicht abgestreift werden.

C:
Ich stelle mich, was die Differenz zwischen wissenschaftlichem Labor und künstlerischem Labor betrifft, grundsätzlich taub und blind – also blöd. Bin ich der Anwalt der Kunst? Was geht sie mich an? Bin ich ihr Funktionär? Soll ich für ihre Reinheit, also für ihre Autonomie als Funktionssystem streiten, wo sie doch selbst, ihres white cube schon lange müde, sich in die black box der Forschung verkrochen hat. Es gab ein falsches Pathos der tabula rasa, das ist jedem klar außer den ganz Jungen, die von ihren Lehrern, ergrauten Avantgardisten, angeregt werden, das rad doch noch einmal zu erfinden. Es wird schon keiner merken.
Die Ironie dabei – aha, figurative Rede, sind wir schon bei der Metapher? – ist nur, dass das Labor, das als Referenzsystem auftaucht, emergiert, sich einstellt, sich einspielt, sich einschleicht, selber eine gewisse Geschichte der Tabula rasa repräsentiert. Die gläsern transparente, technische Einrichtung, dieses ganze Gestell, ist die Hülle, gereinigt von aller Alltagsroutine, um das grundsätzlich Fremde und Unbekannte aufzunehmen und durchzutesten. Es ist egal, ob es sich um bekannte oder neu erzeugte Stoffe und Entitäten handelt – alles was im Labor auftaucht, wird als fremd angesehen. Jedes Ding, das ins Labor einreist, ist ein Ausländer (und jeder Arbeitslose auch). Wird aus dem „Bewandtniszusammenhang“ der Welt, seiner Welt, herausgesprengt, also ob jede Welt eine kleine Verschwörung wäre, die die Wahrheit des Stoffs verhehlt.

D:
Im Labor wird also alles durch den Akt der Verfremdung zum Simulakrum seiner selbst, soll aber dennoch dazu gebracht werden, über sein Wesen in der Welt Auskunft zu geben. Ein Paradox. Auch in der performativen Research wird agiert, als ob es um eine Performance ginge, man stellt einander das Publikum. Aber es ist keine Performance im engeren Sinne mit weiterem Publikum. Aber gilt das nicht für jede simple Theaterprobe? Wittgenstein fragte den Erschreckenden: Wie laut war denn der Knall, den du erwartet hattest? Der angekündigte Knall kann mehr erschrecken als der unerwartete.

E:
Ich sehe überall Parallelen zwischen den Labortypen, ich will aber nicht auf ein Unendliches setzen, indem sie sich schneiden. Selbst wenn es eine gemeinsame Grundlage gäbe, die weder spezifisch wissenschaftlich noch spezifisch künstlerisch ist – wovon ich im Grunde überzeugt bin – wäre die Beschreibung dieser Grundlage, die vermutlich historisch sein müsste, noch nicht die Antwort auf die Frage, was künstlerische Erfahrung oder Ausrichtung oder Kontamination dazu beitragen könnte, einen Labortyp zu erzeugen, der einige Schlüsse aus dem wissenschaftlichen Labor zieht, ohne ein solches zu sein. Das künstlerische Labor als teilprozessiertes Simulakrum des wissenschaftlichen?

A:
Blanchot: „How if he is altogether possibility, can man allow himself anything resembling art?“ Das könnte eines der stärksten Argumente gegen die Allianz von Kunst und Labor sein, an einer Stelle, wo man es am wenigsten erwarten würde – wo Kunst nicht von Können kommt. Das Labor misstraut allem, das aus Trägheit irgendwie ist und im Alltag der Lebenswelt sich gewohnheitsmäßig befindet – dieses Ideal des Labors, alle „Gewohnheit“ zu brechen. Die Gewohnheiten der Dinge, aber selbst ein Ort der extrem typisierten Verfahren zu sein, die Tests jedenfalls: das Labor als Maschine der Kombinatorik, um alles zu testen, was der Stoff „kann“. Dieses Herumspielen mit den Möglichkeiten der Kombinatorik, das wäre nach Blanchot der Kunst völlig fremd. Es stellt sich aber die Frage, ob bei Blanchot diese Nähe der Kunst zu Un-möglichkeit und Exil und Un-Wahrheit notwendig an ein Pathos des Werks gebunden ist, das selber schon historisch ist. Und es ist genau das Aufweichen und Erweitern des „Werks“, das in der Kunst Labore hervortreten ließ.

B:
Erstaunlicherweise muss ich Herrn O. in Beantwortung der Frage 9 zustimmen: Fehlaneignung, „wobei die Abweichung bereits Strategie“ – nur das „Fehl“ zu sehr eine Norm voraussetzt – es ist unsere relative Unkenntnis, die dem wissenschaftlichen Labor eine homogene Norm unterstellt, von der dann erst die Kunst, weil Abweichen ihr Lieblingssport, „abweicht.“ Film: „Der Schakal“ (Bruce Willis: „Sie weicht ab!“)

C:
Wenn Sprache eine Maschine ist/wäre, welche einfach ALLES mit ihren Wörter anfangen darf, sie verschieben, neu formieren, dann könnte das Wort ABWEICHEN auch Anderes bedeuten. So wie etwas abfärben kann, stelle ich mir vor, dass ein Ding abweicht: Ich trage eine gelbe Tüte neben mir. Mein Bein schwitzt, es ist Sommer. Die Tüte reibt an meinem Bein mit jedem Schritt, und mit jedem Mal kommt die gelbe Farbe auf mein feuchtes Bein in der feuchten Hose: die Farbe färbt ab, gibt ab von sich auf mich. So wäre es doch auch „altogether possible“, dass ein Objekt auf mich abweicht oder ich auf es abweiche. Die Richtung wäre egal zunächst. Sagen wir: etwas weicht auf mich ab, dann würde zunächst eine Weichheit partiell auf mich übertragen, eine schleichende Abweichung von etwas auf mich. Und sagen wir: ich weiche auf die Möglichkeit ab. Dann wäre das Weiche eine unbewusste Aneignung, da etwas Wichtiges sich mir angeeignet hat. Ich würde aber nicht eingefärbt, in der Wolle gefärbt, sondern würde nur meine Konsistenz ändern, meinen Aggregatzustand. Ich könnte sagen: Du weichst auf mich ab! Oder: Ich werde von Dir abgeweicht. Und bleibe dennoch ICH. weICHheit.

D:
Ich lese gerade die folgende Seite. Ich wusste nichts von ihr, als ich über das Abweichen geschrieben habe. Auf der folgenden Seite (JETZT LESEN! Bitte!)

E:
Es wird vom Aufweichen der Kunst im Labor geschrieben, denn das Labor macht die Kunst anschmiegsamer. Der Pullover kratzt dann nicht mehr so: „Oh, ist der neu?“ – „nee, mit Labor gewaschen.“ Lenor – Henkel. Den Geist mit einem zarten Gewand kleiden. Aber Labore machen rauh. LENOR für die Kunst.

A:

  • Im Labor wird die Kunst aufgeweicht. Forschung ist ein Weichspüler für das künstlerische Werk. Das heißt, Kunst wird anschmiegsamer für das Auge, den Verstand, die sinnliche Wahrnehmung.

B:

  • Das Labor killt das Pathos der Kunst: Ihr Besonderes, ihr Über- und Untertreiben, ihre Immanenz, ihr eigentlich und nicht So-sein wird aufgehoben.

C:

  • Das künstlerische Labor ist eine Fehlaneignung. Die Norm der Übertragbarkeit lässt die Kunst zum bloßen Referenzsystem mutieren.

D:

  • Die Kunst wird im Labor zum Ausländer. Die Kunst spricht nicht die Sprache der Forschung. Wird sie – wenn sie die Sprache nicht lernt oder schnell eine Arbeit/Funktion findet – wieder ausgewiesen. Wohin? Kommt sie nicht aus dem Exil, dem Unverständnis, dem Unmöglichen?

E:
Ansteckung mit Weichheit

A:
Szenario 1
Zwei Figuren, jede ist Träger eines Virus, eine Figur Träger der Kunst, die andere Träger der Wissenschaft oder umgekehrt. Beide können sich anstecken, wenn etwas passiert. Aber nicht im Versuch, denn in den Stoffen, die untersucht werden, finden sich keine Viren. Aber wenn ein Reagenzglas bricht und einer sich schneidet und der andere das Blut abbekommt oder einer der Figuren nießt. Welche Figur sich wie infiziert, ist egal, dass sie sich infizieren, nicht. Infizieren sie sich absichtlich?

B:
Schnitt: Werbung: Eine Frau mit rosa Pullover und kleiner Handtasche kommt irgendeine Treppe herauf. Ein Mann, der oben steht, fragt, auf den Pullover (die Brust?) schauend: „Ist der neu?“ – „Nein“, sagt die Frau und reicht ihm eine Plastikflasche. „Ist mit Fewa Wolle gewaschen“, sagt die Frau.

C:
Frage: Woher hat die Frau die Flasche? Die Handtasche ist dafür zu klein.
D:
Schnitt zurück. Eine Ansteckung merkt man nicht. Erst wenn sich etwas geändert hat, weiß man, dass man sich irgendetwas eingefangen hat. Werden unsere beiden Figuren wissen, dass sie sich im Labor angesteckt haben? (Und nicht im Bus oder Supermarkt?)

E:
Heinz von Foerster im Biological Computer Laboratory, das war der Ausländer und Arbeitslose, der damit dem Labor sein Laborsein genommen hat, unsere Situation damit vorweggenommen hat, ein Stück Kunst in die Wissenschaften gepflanzt hat und genau damit eben auch die trajectories markiert hat, entlang derer sich die Erwartungscollage „Labor“ aufschlüsseln lässt. In all ihren Selbstverstärkungsdynamiken, path dependencies, Eigenwerten und Selbstbezüglichkeiten. Vielleicht hat es das Labor ja angesteckt, mit dem Ungeschliffenen, Unfertigen, Ausfransenden des Emigranten, des Nicht-Ganz-Akademikers, des Dringend-eines-Jobs-Bedürftigen. Vielleicht sollten sich Art Labs anstecken lassen von unfertigen, ausfransenden, job-bedürftigen Performern Artlab als Grundeinkommen/Grundeinkommen als OpenArtLab.

A:
HEFT 2
1) Kurzatmigkeit- 2) Wahrnehmung- 3) Kritik
ad 1) „…das ‚Researchformat’ leidet unter Kurzatmigkeit…“ Natürlich notgedrungen, weil weder „research“, noch „format“ in irgendeiner längerdauernden Form (noch) vorzustellen sind. (Format – Form?) Und damit sind notwendig davon auch die „Resultate“ betroffen, wie immer diese aussehen (in welche „Form“ sie sich auch immer einschreiben). „Kurzfristveranstaltungen“, mehr ist nicht drin. Kurzfristveranstaltungen, die noch dazu von sich wissen (können), nur solche zu sein, die also nicht mal drauf abzielen, längerfristige Stabilitäten hervorzubringen. Auch Laboratorien bestehen unter diesen Bedingungen noch höchstens 8 (?) Tage, und bringen flüchtige Wissenskonstellationen zustande, deren Wirkungen fraglich sind und die deswegen ihre Geltungsansprüche zurückschrauben. Und zwar auf ein Maß, das jegliche Relevanzfrage auch von daher untergräbt.

B:
Ad 2) Zumindest ist dies eine mögliche Wahrnehmung. Und das unter vielen. Genau in dieser Vielzahl von Wahrnehmungen verschwindet der „künstlerische Prozess“. Nicht an sich. Nicht als solcher. Sondern als soziales Konstrukt, als Möglichkeit der Übereinkunft, etwas als „künstlerischen Prozess“ wahrzunehmen. In diesem Kontext werden Institutionen so wichtig, in ihrer Möglichkeit, etwas zum „künstlerischen Prozess“ zu machen, Institutionen, die ihrerseits „art labs“ veranstalten, um dazu noch in der Lage zu sein beobachtet, kommt ein rekursiv und inkursiv sich aufeinander beziehendes Netzwerk zum Vorschein ohne Anfang und Ende, ohne oben und unten, ohne links und rechts.

C:
Ad 3) Eines, das – neben allen anderen – vor allem keinen Ansatz zur Kritik bietet. Ist die Quintessenz der Kurzatmigkeit die Affirmativität?

D:
Die Vorgabe zeitlich beschränkter „Formate“ (durchschnittlich 2 Wochen) – aus ökonomischen und institutionellen Gründen etwa der „Ortstreue“ etc. ist sicher einer der stärksten Einwände gegen den Labor-im-Tanzquartier-Stil. Es stünde ja den LaborteilnehmerInnen frei, nachher weiter zu machen – etwa uns – und nachhaltigere Ergebnisse zu erzielen, auch noch andere einzuladen. Ich vermute das geschieht kaum. Eben doch eine letztlich kindliche Fixierung auf die nährende Institution und die abschließende Präsentation, auf dies angeblich nicht ankommt? Oder: Viele mögen ihre Arbeit als ein Labor in Permanenz betrachten und ein Lab im TQW ist nur eine zeitliche Nische, dem permanenten Labor eine öffentlichere Form zu geben. Die Kurzatmigkeit ist in den langen Atem eingebaut. Ein Alibi? Worin misst sich die Spannkraft, die Zeit- und Produktionskurve eines permanenten Labors – „Das Labor bin ich“ – wenn es unmöglich ist, ein Forschungsziel zu fixieren?

E:
Biographischer Exkurs: In der postgraduate Institution „Jan van Eyck Academy“ in Maastricht gibt es drei Departments für bildende Kunst, Design und Theorie – alle hatten sich mit einem Projekt für 2 Jahre beworben und hatten den Titel „Researcher“ – eine halbe Verlegenheitslösung, denn wir waren weder Studenten noch Lehrer. Alle versuchten, dem neu eingeführten Titel Inhalt und Würde zu verleihen. Das Seltsame war aber, dass so gut wie niemand das Projekt, für das er/sie eingeladen worden war, auch realisiert hat. Privat motivierte Untätigkeit (Kunstkrise, Alkoholismus, Einsamkeit, Externe Aufträge etc.) war eine Sache, die andere spontane Generierung von neuen Projekten – oft durch Osmose mit dem Ort und den Kollegen.

A:
Ich z.B. wollte schreiben, fing dort aber mit Video an. Ich hatte mich mit einem einsamen Projekt zu Nietzsches „Ecce Homo“ beworben, machte aber schließlich gegen Ende der 2 Jahre eine riesige Performanceinstallation, bei der ich einen Großteil der Kollegen miteinbezog. Dieses Ändern der Forschungsziele mitten in der Forschung gehört zur künstlerischen Forschung. Das macht aber die genaue Bestimmung der Kurz- und Langatmigkeit schwierig. „Mein Leben ist ein Labor“ – ein Alibi? Eine Ausflucht? Gibt es kein Forschungsziel, das den zeitlichen Rahmen bestimmt (das Labor dauert so lange, bis entdeckt, erforscht, dokumentiert, transformiert, transsubstantiiert, zu Ende getestet etc. ist), dann …

B:
„Ich bin das Labor!“ Oder: die Kurzatmigkeit ist in den langen Atem eingebaut…
Ein Laborvarieté für 5 kluge Köpfe (mit Atemapparatur)

A:
Ich halte jetzt die Luft an, solange ich kann.

B:
Das reimt sich ja, und alles, was sich reimt, ist gut.

C:
Aber noch lange kein Kunst.

D:
Schon gar nicht gute Kunst!

C:
Was weißt Du schon, was Kunst ist. Und wenn ja, dann erklär es mir bitte schön: ABER HIER UND JETZT.

B:
Das ist doch jetzt gar nicht unser Thema hier. Du erstickst uns ja mit Deiner aggressiven Fragerei!

C:
Dann mach halt das Fenster auf!

D:
Hast Du hier ein Fenster gesehen?

C:
Nicht alles, was unsichtbar ist, ist auch nonexistent.

B:
Es könnte durchaus sein, dass es hier eine Klimaanlage gibt, eine Frischluftsimulation, sozusagen.

D:
Ist sie an oder aus?

B:
Das ist doch nicht das Thema jetzt. Denk doch ein bisschen langfristiger, an die Bedeutung von Klima in einem übertragenen Sinn: Koexistenz, Zusammenhalt, Stimmgabel…

E:
Stimmgabel??? Mit Musik hab ich persönlich nix am Hut.

C:
Besser man hat was im Kopf als am Hut.

E:
Ich glaube, ich gehe lieber.

C:
Leider gibt es in dieser Sondersituation hier die wir uns doch alle bereit erklärt haben zu teilen, auch nicht so etwas, wie eine Tür. Nicht mal im übertragenen Sinn.

D:
Aber gerade ist ohnehin A erstickt, da kommt bestimmt jemand vorbei zum Abholen.

E:
Die Tür wird aufgestoßen. Herein kommt der Geist von Groucho Marx, im Gewand von Woody Allen. Durch das Luftanhalten ist es im Laborraum so feucht, dass seine Brillengläser beschlagen. Er blinzelt blind in die Runde, setzt einen zaghaften Schritt nach vorne und stolpert über A, dessen Leichnam. Er kniet sich im Aufrichten neben ihn, tastet nach seinem Mund und versucht, eine künstliche Beatmung durchzuführen: Mund-zu-Mund. Dabei spricht Marx/Allen, die Gespenster, seltsame Töne in den Mund des Toten, dessen Anima sich gerade noch im Ohr einrichten wollte, bevor Allen/Marx über den Toten gestolpert ist und sie – platsch – auf den Boden gefallen ist. Dort liegt sie nun unbenutzt, diese kleine Seele, und hört, wie Allen in den Mund sagt: „Ich möchte nicht Mitglied sein in einem Club, der solche Mitglieder wie mich aufnimmt.“ Allen hat A zum Leben erweckt, er schlägt die Augen auf, blinzelt in die beschlagenen Gläser der Hornbrille und lächelt. Alle anderen atmen hörbar auf. Vorhang.

A:

  1. Szene. Woody Allen, der jetzt aussieht wie Jacques Derrida, allein: Allen/Marx/Derrida: L’amour ou la mort? Liebe oder Tod? Tod oder Liebe?
    Vorhang.

B:

  1. Szene: Ein leeres Laboratorium, alles von Gras überwuchert, schon lange verlassen. Irgendwo tanzen Reagenzgläser Tango. Sie klirren ein wenig. Vorhang

C:
Post-Drama
Das Labor ist insofern post-dramatisch, als es nicht auf MIMESIS, sondern auf METHEXIS setzt. Die Nachahmung setzt auf Zeichenvorgänge, die Methexis auf originale Teilhabe.

Meret Oppenheim hat ein ganzes Labor mit Fell überziehen lassen. Sie hat zur Vernissage geladen. Es kommen

  1. Joseph Beuys mit Kojote (beide kurzatmig)
  2. Woody Allen mit beschlagenen Brillengläsern
  3. Groucho Marx, der vorgibt, Jacques Derrida zu sein

D:
Szene 1:
Beuys (zu Kojote): Ich hätte es mit Filz überzogen. Ich halt jetzt die Luft an, so lange wie ich kann, zum Protest dagegen. Dass ein unschuldiges Tier sein Fell für die Kunst hat lassen müssen.

E:
Kojote sagt nix.

A:
Beuys wird blau, fällt um und bleibt am Boden liegen.

B:
Kojote sagt noch immer nix, schnuppert rum.

C:
Meret Oppenheim zu Allen und Marx: Ich lass den Beuys mit Fell überziehen und stell ihn einfach dazu in mein Labor.

D:
Allen (mit beschlagenen Gläsern): Ich seh’ nicht so richtig wieso

E:
Marx (stotternd): L’am, … L’am, … L’am…

A:
Oppenheim: Nein, Rehfell, nicht Lammfell und wenn der Beuys drinnen steht, kommen bestimmt genauso viele Schaulustige wie zu Hagenbecks Körperwelten.
B:
Der Kojote sagt nix.

C:
Zwei Jahre später.
In Oppenheims Labor stehen Beuys und Hagenbeck, beide mit Hut und Rehfell überzogen an auch mit Fell überzogenen Laborgegenständen. Beuys trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Research“, Hagenbeck mit dem Aufdruck „Formel“.

D:
Jacques Derrida (Groucho) zum Kojoten: L’am, … L’am, … L’am…

A:
Der Kojote sagt nix.

B:
Woody Allen (mit beschlagener Brille): Ich seh’ nicht so recht, was das soll.

C:
Meret Oppenheim zählt die Tageseinnahmen und trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Welcome to the art lab“.

D:
Der Kojote pinkelt Hagenbeck ans Bein.

A:
Heft 3:

  1. Ist das LabORATORIUM ein Glaubenssystem?
    I. Beantwortung der Frage: Sind wir alle postgläubig? Ein nachgelassener Nachtrag zur letzten Frage dieses Bogens, die einen Bogen schlägt über die verschiedenen Diskurse, von welchen die Befragten durchlaufen werden. Die Antwort des Laboratoriums (lab is the answer) auf die Fragen, die offen bleiben, wie auch die Antwort in ihrer Setzung immer offen bleibt, weil die Fragen keine Richtung aufnehmen, sondern daneben zielen, daneben liegen. Parataktisch, nennt eine Antwort auf die Frage 15 das, eine List der Listen, eine Aufzählung von Antworten, um diese List weiterzuführen, welche hier ungeordnet in den Diskurs einfährt, einen weiten Bogen schlägt um die Frage-Antwort-Relation und sich nur als Bindestrich, als Differenzial fassen lässt. Der Strich, welcher Frage und Antwort verbindet und gleichermaßen voneinander trennt, in jenem Gedanken von Nancy, der immer ein aufeinander zu meint, eine Richtung aufnehmend, ohne dort ankommen zu können. Die Antwortsätze, Versuchungen formulieren Glaubenssätze zum LabORATORIUM, ohne dass diese Frage, die sechzehnte, beantwortet wäre. Keine Antwort auf diese Frage gibt die eigentliche Antwort: Laboratorium is the unquestioned answer, die nicht beantwortete Frage, die in den restlichen Antworten verantwortet wird, ausgerechnet dieser Frage wird nicht Rechnung getragen in den Antworten, ausgelassene Antwort, Fransen im Diskurs, eine Leerstelle, die bereits gefüllt wird im Nicht-Sagen und gleichermaßen im Sagen der anderen Antworten.

B:
II. Das Oratorium ist ein musikalisches Reden, das, musikhistorisch betrachtet, nicht szenisch aufgeführt wird. Es entzieht der Musik das Bild, die Bildhaftigkeit, die Notenfiguren werden nicht verkörpert. Dann: ein Betsaal, in welchem die Nonnen, die Mönche den Heiligen Geist anrufen, den Gott und seinen Sohn, die Geister bitten, über sie zu kommen. Zu antworten auf ihre Anrufung. (Doch ein Gott, der kommt, ist keiner, denn wie könnte er auf menschliche Rufe hören, er bleibt messianisch, der zu Kommende, ad venire, Advent), die ungehört verhallt. Der Gebetsdiskurs und der Bildzweifel, Bildertod, das Wort gilt, gibt die Antwort, weil das Gebet die Antwort schon weiß in der Anrufung ohne die Frage gehört zu haben. Die Antwort ist leer.

C:
III. Es erinnert mich an einen Titel eines Aufsatzes, den, glaube ich, Dirk Baecker geschrieben hat: „Das Projektil entsinnen“. Das Projektil, auch eine Patronenhülse, die in anderen Zusammenhängen den Laboren der Kriminalisten Hinweise gibt auf Kaliber, Tatwaffe, Benutzer, den TÄTER, ist ein leeres Gefäß, das sein Schwarzpulver schon entleert hat, ohne Frage, im Körper des TOTEN, der keine Antwort mehr geben könnte auf ‚who dunnit?’ Weil dieser hermetisch bleibt, werden die Instrumente der Hermeneutik, der Zeichenlektüre, bemüht. Das leere Projektil, das gefunden wird (man findet nur, was man nicht sucht, ist eine Lehre aus CSI Miami, die uns der blind werdende Ermittler aufgibt; was man aufgibt, kann man wieder-finden), das wiedergefunden wird, weist Spuren, Kratzer auf dem Metall auf. Es ist vor der Zeit abgegeben worden und bleibt zurück, Nachforschung heißt die Ermittlung, die mit Mitteln der Forschung (Labor) ins Objekt gesetzt wird. Dieses Geschoss, dieses Projektil kann sich nicht selbst enthalten (Plischke) so wie der Raum sich nicht enthalten kann. (Auf welchem Geschoss, auf welchem Stockwerk in diesem Gebäude ist dieses Projektil zu finden?) Mehr eine Amphora (Heidegger), ein Raum, dessen Innenseite gleichzeitig die Außenseite zu anderen Räumen bedeutet, den Raum trennt, auftrennt. Das Projektil, das geleerte Gefäß, das sich leert, sich dabei gibt, ein Raum, der einräumt, räumt. Raum geben für Gedanken, bisher fassungslose Gedanken und Körper, die sich in dieser Klammer, dieser Denkfigur der Umklammerung des Gefäß’ treffen. In welchem sich der Geist einfangen ließe, wenn man mit diesem Gefäß den Spirit, holy, suchte (durchaus auch die Entgrenzung meinend, die das Hochprozentige verspricht, verantwortungslos, die Antwort im Glase suchend). Aporien des Labors.

D:
Das Oratorium nun verweigert die Inszenierung, Bildwerdung des heiligen Wortes. Es verweigert ikonoklastisch die Sichtbarmachung, wie sie die großen Religionen eben verhindern. Dieser Bruch des Gefäß’ der Sichtbarkeit (klastisch… = zerbrechen) restituiert die Dunkelheit des Wortes als Wort Gottes, der allein Licht ins Dunkle zu bringen in der Lage ist – und damit das Gefäß der Heilserwartung. Das Bilderverbot des Oratoriums suspendiert die Bildlastigkeit des Labors, dessen privilegierte Prothese das Mikroskop darstellt. Die Produktion von Sichtbarkeit innerhalb einer visuellen Kultur findet sich in entsprechend massenkulturellen Phänomenen wieder, CSI, Kriminalserien etc., deren Wahrheitskriterien auf den Beweis vertrauen, nicht also auf einem juridisch-rhetorischen System, sondern der Beweiskraft des Faktischen, Objekt geworden. Die Unterscheidung in Indiz und Beweisstück zeigt bereits, dass ersteres nur als Anzeichen unsicheren Status juridischer Beweiserfassung aufweist, ein Indiz ist nur ein Hinweis auf einen Beweiszusammenhang, nicht aber der Beweis selbst. Wenn Laborserien, die sich die Mikroskopierungen der Welt übrigens teilen mit amerikanischer Kriegspolitik und ihrer Darstellung, diese Produktion von Beweisen durch Sichtbarkeit sich zu eigen machen, steigern sie das Vertrauen in Wahrheit: diese ist sichtbar, sie ist da, jenseits von den Winkelzügen der Politiker und Rechtsverdreher, Liberaler, Intellektueller. Der Beweis ist Gott. Das Anagramm, im jüdischen Glauben das Spiel, das Gott mit uns spielt, weil sich hinter den Buchstaben eine andere als die ausgesagte Wahrheit verbirgt, dazu: Laboratorium = Ratio + RaumLob. Der Verstand, der sich in einem leeren gottgelobten Raum einräumt.
E:
Brutalo Maori – Brutal am Rio. Ora et labora. Ich schwanke unter dieser schweren Last der Antwort, schwanke brutal hin und her, fremd geworden, auf der anderen Seite der Welt, arbeite und bete an einem unendlichen Strom von Assoziationen, hellsichtig, hellhörig, Erzählungen an Erzählungen reihend, sie wuchern lassen, humpelnd am Stock gehend, dem Weinstock des HERRN, mich aufstützend, stutzend stehen bleiben auf einem Bein. Endliche Assoziationen, weil ich mit mir nur meine Sprache teile, die mich gefangen hält und den immer gleichen Gedanken, das immer gleiche Gebet hervorbringt, paraphrasiert, im blinden Fleck eben nicht sichtbar macht, wie es mein CSI mir glauben machen möchte. Pseudobeweis: es gibt Gott, weil es ihn gibt, im tautologischen Bestärken.

A:

  1. Beantworten der Frage: Einatmen, sprechen. Die Antwort ist nicht leer! Am Anfang war das Wort, doch wenn erstmal nichts war außer Gott, also auch keine Luft, kann er sich nur selbst einatmen: Am Anfang war der pneumatische Selbstmord Gottes im Versuch zu sprechen. Was bleibt ist Stottern, das ewige Dazwischen, zwischen Atmung und Sprache. Leerstelle an Leerstelle reihen, Platzhalter an Platzhalter. Jede Frage somit unbeantwortet.

B:

  1. projet il (projiziert er)? (Derrida über Artaud)

C:

  1. Ist Kunst die Entziehungskur der Theorie und umgekehrt? Treffen sich beide im Lab Oratorium (Sanatorium) als ikonodule Gesprächspartner. Die Sprache wird musikalisch durch das rhythmische Pfeifen beim Einatmen wie in Thomas Manns Zauberberg. Die Lungenkranken nach dem Pneumothorax. Einatmen Welt Sprechen Stotterei der Dinge.

D:

  1. Wird das Lab künstlerisch durch sein Laborieren? Oder hilft tatsächlich beten? Oder eine Entziehungskur? Zwischen Lab und Kunst ist nichts dazwischen ! (ums nochmal deutlich hinzuschreiben) Nicht einmal Interaktion, außer der, die von irgendwen hinbeobachtet wird. (Dann aber auf seine je spezifische Weise). Lab und Kunst interprentrieren sich und nehmen sich dabei nicht einmal wahr. Was solls auch, sagte die Kunst, und tat, was sie tat. Unter Umständen bringen sie sich gegenseitig ins Stottern, noch das kriegt aber das eine vom anderen nicht einmal mit – solange sie Kunst und Lab bleiben. Wer weiß aber natürlich, was Stottern alles nach sich zieht (Lanst oder Kub)?

E:
Ich lese immer Lob statt Lab (also Gotteslob), dabei behaupten doch die Kunst-Labora(NT)ten immer, dass sie auf das Lob nichts geben. Also keinen Applaus erwarten. Dem wissenschaftlichen Lab ist das Lob das Geld. Ohne Lohn lernt auch die Ratte nicht gern. TORRAUB I MAOL. Gibt es überhaupt Fragen in der Kunst? Ist Kunst nicht immer schon Antwort? Derrida: Die Antwort vor jeder Frage. Dieses „ich bin da“ mit blitzblankem Blick. AB ORAL IM ROT U

A:
Gelobet seist Du Labor! Voll der Gelder … Ohne Lohn lernt auch die Ratte nicht gern.

B:
Le rat: Là je suis!
Dieu: Tu me vois?
Le rat: Oui, mais je ne te crois pas!

C:
Artaud und die Ratte (das Projekt-il, dem die Luft ausgeht). Das unheimlich explodierende Labor.

D:
Artaud: Theater soll sein wie ein Scheiter-Haufen, von dem herab wir mit unseren Körpern Zeichen machen.

E:
Was sagt die Hexe im Mittelalter dazu, von der „man“ nicht so genau wusste, ob sie eine war oder nicht.

A:
Manfred: „Was soll’s auch“, sagte die Kunst, und tat, was sie tat.

B:
Heft 4

(Diese Seite wird von allen Sprechern hochgehalten)
Auf die Mitte weise den

Umherirrenden hin!
C:
Wie bezieht sich das Labor hinsichtlich seiner Methode, seines Inhalts und seiner Struktur auf den künstlerischen Prozess den es untersucht. Ist die Kunst einzig und ist das Labor immer das Andere? Ist die Paarung aus Kunst und dem Anderen ein Widerspruch in sich, ein Oxymoron á la Blanchot: a relation with what admits of no relations?

D:
Was ist das entstehende Intervall?

E:
Das Labor ist immer das andere – mit Nachdruck! Es kann nicht anders, als an der Kunst zu laborieren. Es wurde geschaffen, um die Kunst zu “erfassen”, und kann, indem es dies versucht, erkennen, dass es sie niemals zu fassen bekommt. Gleichwohl bezieht es aber seine Legitimation nur aus dem Vorhaben, Kunst zu “erfassen”. Die langen verschlungenen Wege sind ihm in die Wiege gelegt. Als “protected space”, als Sonderbedingung des Versuchs, Kunst (-beobachtung) zu prozessieren. Entscheidend scheint aber, dass dies nichts unerwartetes ist, kein Failure.

A:
Und auch nichts Unheimliches. Denn war es nicht schon vor 30 Jahren selbstverständlich, dass nichts mehr selbstverständlich ist? Wer immer heute ein Labor (ein Kunstlabor) initiiert oder organisiert, kann erwarten, dass das Labor das andere bleibt, dass also sehr wohl eine Relation be- und entsteht, zu dem, was in ihm erfasst oder bearbeitet werden soll – die Relation einer spiralförmigen Wechselbeziehung, einer Doppelhelix, sich gegenseitig irritierender Komplexitäten, die sich im reziproken Zurverfügungstellen dieser Komplexität Anschlussmöglichkeiten schaffen, oder auch nicht. (Dazwischen (im „Intervall“) ist nichts).

B:
Wie kommt das Unheimliche als Negiertes ins Spiel? Das Labor ist ja in der populären Wahrnehmung der unheimliche Ort – und die Kunst seit langem dem Unheimlichen ausgesetzt. Wieso soll dann ein Labor, das Kunst “erfasst”, nicht unheimlich sein? Ein Kontrollphantasma?

C:
–> zwei Probleme (rein logisch)

  1. Kunst ist ständig im Begriff, anders zu werden (ihren Bereich neu zu bestimmen etc.) und erklärt sich zum “Anderen” mit großem “A”, zu allem Anderen. Kunst ist Kunst und alles Andere ist alles Andere. Die Selbst/aus/ein/stülpung (Derrida: Invagination) “Labor” kann hinsichtlich der Kunst das Andere nicht sein.

D:

  1. Ist Erfassen “objektives” Erfassen, Feststellen eines Gegenstandes, ist dieser Wissensmodus Kunst nicht angemessen!

A:
Im künstlerischen Labor ist die Kunst nicht der Stoff im Reagenzglas, denn was wäre dann das Reagenzglas, das die Substanz fasst, um sie dem Erfassen zu überlassen. Fass!!

(Jemand aus der Gruppe steht auf und zeigt auf dem Flipchart das gezeichnete Bild einer Ratte mit Kunststoff zwischen den Zähnen)

B:
Intervall: In der Szene in Ang Lees

(alle sagen:) “Hulk”

explodiert in weiter Ferne das Labor, von einem Kind in einem Diner inmitten einer Wüstenlandschaft mehr ignoriert als beobachtet. Es ist die an die Atombombentests erinnernde Distanz zur Explosion und nicht das Bild der Explosion (in den Knallfarben der 60er Jahre) das diese Szene so unheimlich macht.

C:
These: Die Kunst hat externe Beziehungen und ist nicht “Alles” – aber ihre Bestimmung fällt noch innerhalb der Kunst, daher ist ein Labor “über” Kunst, Teil der Kunst.

C:
Die Wege der Kunst sind unergründlich (TWA, ÄT,…)
D:
Konstruktionen eines unheimlichen Labors: empirisch, analytisch, erkenntnistheoretisch wird untersucht wann, wie und warum Kunst Menschen aus der Fassung bringt. Das Unheimliche ist jedoch, dass Kunst sich nicht simulieren lässt, auch nicht konservieren oder dokumentieren.

E:
Das unheimliche Labor des Dr. Sachsenbolster

(Einer aus der Gruppe steht auf und zeigt auf dem Flipchart ein gezeichnetes Gespenst, in dessen Mitte die Schwarz-Weiß-Kopie der Mona Lisa eingeklebt ist)

A:

  1. Ich plädier’ sehr dafür, noch immer und mit Nachdruck, die Doxa und damit dogmatischen Annäherungen an Kunst, über Kunst, einer anderen als nur Meinungsbetrachtung zu unterziehen. Meiner Meinung (!!) nach gelingt eine – noch einmal – diskursanalytische Betrachtung von Kunst / Theorie etc. und würde die momentan auf Begebenheiten reduzierten Sätze in ein anderes Licht setzen. Dass Kunst das Andere, Unheimliche ist, lässt sich durch eine ästhetische Negativitätsbestimmung als Setzung entlarven, die in der Ästhetik ihren Wert erzeugt. Die Ausgrenzung von Kunst als das Andere, nicht mit Sprache, Diskurs zu fassende, fassungslose, ist eine erkenntnistheoretische Operation, wonach erst Diskurse diese zur Sprache bringen können – im Versuch und Wissen der Unzulänglichkeit. Der Rest, Mehrwert von Kunst – drehen wir die Perspektive um – wird ein konstruierter Rest, der die ästhetische Theorie beflügelt (und auch legitimiert). Die Überbietung von Kunst des Sinns und die diskursive Unterbietung des Kunstwerks gehen in dieser ästhetischen Wissensproduktion Hand in Hand. Daher ist Kunst dem Diskurs in ihrer Seinsweise nicht vorgängig, sondern “bloss” different. Das epistemologische Differential, welches die Relation von Kunst und Theorie ausmalt – also die Sprechweise, die Kunst verkunstet – wäre Gegenstand der Untersuchung.

B:

  1. Das Labor nun ist das ideologische Versprechen, beide Relationen gleichzusetzen und ihre Ontologien zurückzuerstatten. Kunst und Diskurs werden zunächst unrelational und damit epistemisch als monadische Sinnproduzenten angenommen, die dann in der künstlerischen Laborsituation miteinander reagieren sollen; im Kalkül auf entweder hoch explosive Mischungen (Fusionen) oder Spaltungen (Fissionen ). Dem Labor haftet aber dieser Geburtsfehler an – weil es diese Unverbundenheit epistemisch nicht geben kann; das Labor vielmehr könnte potentiell die immer schon gesetzte Differenz – die immer eine Beziehung ist – untersuchen. Da diese im Labor vertretenen Wissensweisen Kunst und Theorie anders zusammentreffen sollen. Dieses SOLLEN wäre dann auch ethisch zu betrachten – nicht nur ästhetisch. Ich halte nichts von unproduktiven Tautologien – die nur Selbstbegründungszusammenhänge schaffen: KUNST IST KUNST. Dieser Stillstand des Denkens verwechselt immer das Eine mit dem Einen selbst und hebt Identifizierung hervor, wo Differenz bereits angelegt ist. Die Hilflosigkeit des Sprechens über Kunst scheint einer solchen polemisch aufzufassenden eins zu eins Relation nicht entraten zu können.

C:
2a) Labor als Kunstwerk: Rezeptionshypothese
Betrachten wir Labor als Kunstwerk, das temporal sich über eine Woche hinzieht, dann wäre alles innerhalb dessen Kunst und damit Rätsel. Die TeilnehmerInnen werden zu ästhetisch aufgeladenen Agenten von Kunst, deren Reden von einem Außen erst versinn(bild)licht werden. Damit wäre Innen = Labor, Außen = Zuschauer, der nicht notwendigerweise anwesend sein muss, sondern als ästhetische Funktion bereits integriert wäre. Die Wissensproduktion erfolgt über dieses Verhältnis, da das Labor als Kunstwerk in der Zeit nichts über sich wissen kann; erst die Epistemologisierung durch ein Außen weist Wissen ÜBER zu.

D:
2b) Labor als Prozess: Produktionshypothese
Das Innen bleibt Innen, die Teilnehmer verkehren nicht ästhetisch, sondern sozial miteinander. Die Bedingungen der Wissensproduktion (i.e. das Verhältnis von Sagbarem zum Sichtbaren) unterliegen nicht ästhetischen, sondern ethischen „Protokollen“, Verhaltensweisen. Es entsteht diskursives Wissen aus einer Innenspannung heraus, die nicht das Außen miteinbezieht, weil es nicht artefaktisch produziert, sondern Fakten (Nicht-Artefakte) schafft.

E:
2c) Labor als Differenzial: Differenzierungshypothese
Das Labor selbst markiert die Scheidelinie zwischen Logos und Techné, indem es die Ansätze zusammenbringt, jedoch weiterhin auseinander hält. Das ist die epistemische Operation per se: auseinander halten bedeutet differenzieren von zwei Parteien, die aufeinanderzugehen. Als ginge ein Dritter dazwischen, der die Streithähne dieses Widerstreits auseinander halten muss, und sie doch mit seinen Armen verbindet. Das Labor ist weder ethisch noch ästhetisch, sondern diese beiden Erkenntnisformen und Umgangsweisen zueinander differenzierend. Es antwortet auf die Fragen der jeweiligen Diskursart immer anders. In dieser Abweichung eignet sich Labor immer Diskurse fehl an (Fehlaneignungen) und spielt sie falsch an die andere Seite.

A:
Labyrinth endlose Gänge zur Kunst, Phantom_glieder

E:
Heft 5:
Auswertung der Fragebögen:
Abgesehen davon – Dass in den Antworten viele Glaubens-/ Vermutungs-/Hoffnungs-Sätze auftauchen – also eigentlich die letzte Frage hätte gewählt werden sollen, tauchten die von uns schon bezeichneten Bruchlinien auf:

Theorie I Praxis

Performance I Research

Repräsentation I Prozess

Selbstversuch I Verifizierung

Körper I Symptom

Zeichen I Ereignis

Kunst I Forschung

Wiederholung I Einmaligkeit

A:
Labor über Labor im Tanzquartier. Folgende Gruppierungen finden sich als Verantwortungsbereiche auf den Postkästen im Quartier:

(jeder der folgenden Begriffe wird von einer Person gesprochen)

Info I Video I Rezeption I Abendzettel I Assistenz Finanz I Assistenz Intendanz I Assistenz Marketing I Theorie I Assistenz Produktion I Factory I Finanz I GF I Kommunikation I IDEE I Intendanz I Office I Produktion I Assistenz Presse I Projekt I Technik I Training I Vermittlung I Postausgang I

E:
Verwaltung: Achtung / Achtung: Hier spricht die Verwaltung. Ich bin viele, viele Posteingangsfächer, die viele Bereiche in der Verwaltung von Kunst abdecken sollen. Ich habe viele Wohnungen, viele Adressen, viele Namen. Nur ein Name fehlt mir: KUNST. Eine Unmöglichkeit: Adressat unbekannt. Als Verwaltung kann ich keine Kunst sein, die listig ist, sondern ich muss Listen bilden (s. Fragebogen), Aufzählungen meiner Abteilungen, Räume, Verantwortungsbereiche …

A:
Kunst: Stop. Du bist nicht verantwortlich, du verwaltest nur die Verantwortung. Du glaubst, dass Du nur eine Organisation zu geben in der Lage bist, weil du denkst, ich sei unstrukturiert. Aber ich brauche dich nicht. Ich habe eigentlich keine Achtung vor dir, auch wenn du “achtung achtung” verlangst. Ich muss nichts fordern, weil ich immer nur mich herausfordere.

B:
Verwaltung: Stop. Ohne meine Herausforderung und Grenzziehung kannst du nicht existieren. Ich beschaffe die Resourcen für dich, damit du entstehen kannst, damit du ans Licht kommst.

C:
STOP sagt der Autor hier, weil dieser Dialog ins Leere führt.
D:
STOP in Rot

E:
Achtung Achtung, Zuordnungen auf der ersten Seite sind meines Erachtens teilweise vertauscht:

Präsenz I Repräsentation

Körper I Figur

Geste I Zeichen

Moment I Verlauf

Raum I Ort

(Sprecher macht eine Geste von Gänsefüßchen, die zwei Begriffe andeuten sollen:) … I (lies: Schrägstrich)…

A:
Repräsentation beruht auf der Wiederholbarkeit präsentischer Momente. Nur die Wiederholung schafft Lesbarkeit, dass Lektüre immer ein geteilter Moment ist. In der Teilung des Moments beginnt die Mitteilung. Wir sind Dichotomien gewohnt in unserem Denken, nicht aber die Linie dazwischen. SYSTEME bauen in der bereits entschiedenen Unterscheidung, ohne die Unterscheidung selbst im Blick zu haben: auf Grund welcher Kriterien (sagen wir: Episteme) trifft sich die Unterscheidung, wird das Unterschiedene unterschieden?

B:
Aber Achtung: Ein Spiegel ist keine Repräsentation. Wenn der KÖRPER in den Spiegel schaut, blickt ihm keine FIGUR zurück:

C:
Körper I Figur (Sprecher macht Geste des Durchstreichens)

D:
Aber: Körper I repröK

E:
Die Spiegelung der Präsenz

A:
Das Spiegel-ICH, mein Geist.

B:
Der STR-ICH zwischen MIR und Nicht-MIR;

C:
Der SPIEGELSTRICH der Aufzählung von Mir.

D:
Meine List von mir.

E:
Meine Verwaltung des Ich im Spiegel-STR-ICH

A:
Anders als das Kind (als das Kind noch Kind war, war diese Pfütze das Meer) verfällt Narziss nicht in Jubel beim Anblick seines Spiegelbildes, denn er erkennt sich ja nicht „zum ersten Mal als Ganzes“, sondern sieht sich als einen anderen, in den er sich verliebt. Keine Selbstliebe also im Moment des Trinkens und des Erkennens seines Gesichts auf der Wasseroberfläche, sondern ein Tauchen durch die Spiegelfläche, ein Abrutschen vom Ufer. Ein Ertrinken. Der Tod des Narziss ist Ausdruck der Unmöglichkeit der Zuneigung zum anderen und die Angst vor der Erkenntnis, dass der andere uns immer am Ähnlichsten ist. Jede Präsenz immer auch Re-Präsenz, die Wiederkehr der Spiegelfläche, nachdem sich das Wasser vom Sturz beruhigt hat. Repräsentation ist der Moment des Spiegelns der Präsenz, und jede Präsenz ist der Gefahr des Stürzens ausgeliefert.

B:

  1. Spiegelfläche (Ähnlichkeiten):
    … KÖRPERFIGURGESTEZEICHENMOMENTVERLAUFRAUMORT…

C:

  1. Dichotomien (Angst vor dem Anderen): Körper Figur Geste Zeichen Moment Verlauf Raum Ort

D:
Repräsentation – Korrespondenz – Korrelation – Interferenz – Konditionierte Koproduktion:
Konditionierte Koproduktion (voreingeschränkte und genau damit erst ermöglichte) Konditionen schaffen, um zur Produktion fähig zu werden. Konditionen im Laboratorium zu schaffen, um zur Kunstproduktion fähig zu werden. Konditionen in der Kunst schaffen, um zur Laborproduktion fähig zu werden.

E:
KO-Produktion und nicht Repräsentation, und damit also nicht Körper/Figur, Geste/Zeichen, Moment/Verlauf… . Das Wesen wird erst durch seine Erscheinung zum Wesen, und die Erscheinung wrid nur, indem sie ein Wesen erscheinen lässt, zu dem, was sie ist (Die Eins wird erst durch die Zwei zum Ersten und damit eigentlich zum Dritten). Aber gut: Dichotomien brauchen Festlegungen, Standpunkte, systems of reference, also Rückgrat, Contenance.

A:
DICHOTOMIEN ? K-C: Karin Knorr Cetina Wissenskulturen Suhrkamp 03

(Eine Person aus der Gruppe steht auf und blättert Flipchart um, folgende Begriffe erscheinen darauf:)

Polar?      Binär?
    spektral
Objekt      Zeichen
    Prozessmaterialien (K-C56) 
Metapher    Index
    Allegorie

B:
Das Lab – ein Ort der Allegorie, eine Allegorie des Orts

C:
Man bedenke noch einmal den „Ursprung“ des Labors in der Alchemie. Das Goldmachen war zugleich wörtlich zu verstehen (aus der Kombination minderer Stoffe einen wertvolleren erzeugen – selber Allegorie des Mehrwerts der Produktion, die Magie der Arbeitskraft, die in das Produkt gesteckt wird) und allegorisch zu verstehen: mit dem Goldmachen verwandelt sich der Alchemiker gleich mit. Wenn K-C die klassische Subjekt-Objekt-Schranke im Gegenwartslab für überwunden/durchlässig erklärt, kehrt etwas Alchemieähnliches (alchemiodes) wieder, das sich der Kunstlab-Wissenschaftslab-Dichotomie jedenfalls entzieht.

D:
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!