Essay über das Finden von Einkaufszetteln und dem ‘Gift of Love’
Ob das Mädchen, von dem ich diesen Zettel im Wald gefunden habe, noch immer mit dem Jungen zusammen ist, dem sie die Einkaufsliste geschrieben hat: „Hallo Dawid, bin bei meiner Oma (Telefonnummer). Muss später mit dir was besprechen. Einzukaufen ist: – 2x Wasser – 1x Orangensaft, – 2x Birnen – 2x Bananen – 1x Apfel, – was Süßes, – Mittag für dich, – für auf’s Brot etwas, – Geh bitte zum Friseur, dann machen wir auch geilen Sex, ansonsten nicht! Liebe Dich, unleserlich.“ Einkaufsleporello. Diesen Zettel habe ich in einem Park gefunden, wo er knapp am Wegesrand lag. Ich habe angehalten, ihn aufgehoben und gelesen. Nicht nur aufgrund der Abschiedsformel habe ich von Anfang diese Einkaufsliste als einen seltsamen Liebesbrief gelesen, eines Teenagerpaares wahrscheinlich, das zusammenlebt. Dieser Zettel scheint mir ein Dokument einer Beziehung zweier Menschen zu sein, die sich zwar als Liebesbeziehung sowohl nach innen als auch nach außen versteht, deren vermeintlicher Liebes-Diskurs aber Zeugnis ablegt von ihrer Infektion durch Macht- und Ordnungsregulationen, die die Liebe als nur diskursivierten (und nicht emotionalen) Akt bestimmt. Die Zeilen dieses Briefes erscheinen auf den ersten Blick hin schon deshalb so bemerkenswert, weil sie so sachlich, in Spiegelstrichen geordnet sind und anlässlich eines anstehenden Einkaufs die Liebe als ein reines ökonomisches Tauschgeschäft erscheinen lassen. Das Mädchen (auch wenn die Unterschrift durch ein Brandloch unten rechts unleserlich gemacht wurde – wobei sich sofort die Frage stellt, von wem eigentlich – gehe ich anhand der Schriftgeste, des Diskurses, des Tonfalls davon aus, dass dieser Zettel von einem Mädchen geschrieben wurde) spricht den Adressaten zunächst direkt an, das unverbindliche ‚Hallo’ lässt zunächst auf ein freundschaftliches Verhältnis schließen, aber in keinster Weise eine Liebesbeziehung; so reden Freunde miteinander. Oder ein jugendliches Paar, das vielleicht zum ersten Mal eine Art Partnerschaft mit einem anderen Menschen eingeht und die Anrufungsformeln der Liebe noch nicht gepflegt hat. Wie nenne ich den von mir geliebten Menschen, mit welchen Worten belege ich ihn, wie hege ich meine Liebe ein, welcher ist der unaustauschbare Name des Einzigartigen? Der Eigenname des Geliebten scheint dabei von geringstem Interesse zu sein, weil er schon vielen anderen seine personale Identität verliehen hat (die Namensgebung ist nicht nur ein performativer Akt des Priesters, er verschenkt großzügig eben auch eine bestimmte, namensspezifische Wirkung); vielmehr sucht der Liebende sich einen Namen aus, den er dem Geliebten geben möchte. Das alles tut das Mädchen hier nicht, sie schickt ihrem Freund ‚Dawid’ nur einen Gruß, indem sie ihm mit seinem Eigen-Namen anruft. Dabei fällt auf, dass sie den Namen David mit einem ‚w’ schreibt; handelt es sich dabei um eine (vielleicht slawische) Variation dieses Namens oder vielleicht gar um einen Flüchtigkeitsfehler, einen unbewussten Verschreiber, der dem ‚v’ einen weiteren Bogen hinzufügt, als würde sich das Mädchen eintragen wollen in den Eigennamen, diesen auf gewisse, idiosynkratische Weise korrigieren, so wie sie es für richtig hält? Ist also der Verschreiber unterbewusst gar keiner, sondern eine Überkorrektur, eine identifikatorische Zu- und Überschreibung? Sie verweigert aber nicht nur dem Adressaten seine korrekte Anrede, auch ihr ‚Ich’ löscht die Schreiberin aus. Im ersten Satz verkürzt sie das Subjekt auf das Verb, vermeidet die Formel ‚Ich bin’ zugunsten einer elliptischen, flapsigen, atemlosen grammatikalischen Kurzform, als wollte sie nicht von sich persönlich sprechen, sondern von einer Diskursinstanz, die das Folgende verordnet, in Auftrag gibt. Hier wird nur an der Oberfläche ein ‚Einkaufszettel’ geschrieben, als vielmehr ein Liebesdiskurs geführt, der sich hier unterschwellig einschleicht. Tatsächlich ist im ganzen Text kein grammatikalisches ‚ich’ zu finden, sondern immer nur die verkürzte Form, die die Aussage in einen Imperativ verwandelt. („Muss später mit dir was besprechen“) Dabei wird immer deutlicher, dass bei gleichbleibender Satzform die Adressierung dieser Verkürzung vom Subjekt zum angesprochen Objekt wandert. Während der bereits eingeklammerte zweite Satz zunächst den Imperativ in seiner reinsten Form (das Hilfsverb „Muss…“) ausdrückt, wobei sich dieses Müssen auf die Schreiberin zunächst selbst bezieht, wird die Befehlsform ganz deutlich in der tatsächlichen Aufforderung an Dawid, zum Friseur zu gehen. Hier findet der Satz zu dem Imperativ, den er bislang in seiner Aussageform zu verschleiern versuchte. Selbst das lapidare „Liebe Dich“, eigentlich ein Geständnis, die sich verausgabende Formel der emotionalen Mitteilung eines Menschen an einen anderen, liest sich hier mehr als eine Aufforderung an den Adressaten, sich selbst zu lieben. Dennoch wird schon im zweiten Satz deutlich, dass das Müssen der Schreiberin auch das Müssen von Dawid ist. Der ganze Zweck dieses Briefes liegt darin, dass Dawid etwas im Auftrag von ihr (die keinen Namen trägt) tun muss, er ist ein einziger Imperativ, der auf der Anmaßung gründet, ein Liebender dürfe dem Geliebten Anweisungen geben. In der Einkaufsliste, die dann folgt, gibt sich das Mädchen schon keine Mühe mehr, die Subjektposition wenigstens im flektierten Verb unterzubringen; die Warenliste wird eingeleitet durch einen erweiterten Infinitiv, der nicht nur das Subjekt weglässt, sondern eine imperativisch, unpersönliche Formulierung wählt, um keinen Zweifel sowohl an der Richtigkeit der folgenden Liste wie auch der Notwendigkeit des Auftrags zu lassen: die grammatikalisch und damit emotional verknappte Überschrift „einzukaufen ist“ (noch dazu grafisch unterstrichen) überantwortet jede Subjektivität der Diskursart des ‚Befehls’, auf welchen nur der unbedingte Gehorsam der Ausführung zu folgen hat. Die Auflistung der einzukaufenden Waren selbst ist sehr minutiös in ihrer Angabe der Anzahl. Sie überlässt nicht das kleinste Detail dem Zufall, der hier gleichzusetzen ist mit der Entscheidungsfreiheit des Käufers; es sind genau ZWEIMAL Wasser, EINMAL Orangensaft, wie auch ZWEI Bananen, ZWEI Birnen und EIN Apfel, die zu kaufen sind. Wobei auffällt, dass das Mädchen sowohl die Menge in ihrer exakten Reihenfolge ordnet (zuerst kommen die zweifach zu kaufenden Artikel, dann die nur einmal zu erwerbenden) als auch die Mengenangaben aller Artikel ihrem eigenen Zähl-System unterordnet (denn Birnen, Bananen oder Äpfel kauft man normalerweise stückweise oder nach Gewicht, nicht aber multipliziert mit sich selbst). Sie muss wohl deshalb so genau notieren, weil über die Artikel zwischen ihr und ihrem Partner normalerweise Uneinigkeit herrscht, wobei nur zu vermuten ist, dass Dawid nicht unbedingt ein Anhänger von Obst ist. Diese Vermutung bestätigt sich angesichts der überraschenden Ungenauigkeit des Auftrags, Süßigkeiten zu kaufen: hier wird schlicht „was Süßes“ verlangt, so dass davon auszugehen ist, dass die Geschmäcker hier die gleichen sind, es keiner weiteren Erläuterung bedarf. (Ähnliches gilt auch für den Brotbelag, wo es ebenfalls eine Einigkeit geben dürfte). Anders verhält es sich aber bei dem vierten Spiegelstrich: „Mittag für dich“; natürlich schreibt sie Dawid nicht auf, WAS er für sich zu kaufen hat (das wird sie vielleicht nach vielen Jahren ermüdender und ermüdeter Partnerschaft tun, wenn sie ihn in die totale psychisch-emotionale Abhängigkeit von sich getrieben haben wird, in die er sich im Laufe der Zeit freiwillig begeben haben wird), dass sie Dawid aufschreibt, DASS er was für sich zu kaufen hat, zeugt davon, dass das Mädchen nicht nur über die Art und Weise der Ernährung herrscht (wenn die beiden zusammen essen), sondern auch über dessen Aufnahme von Nahrung überhaupt verfügt. Dass Dawid nicht im Bild ist über den Stand der Nahrungsvorräte, ist vielleicht eine (seiner wahrscheinlich vielen) Fahrlässigkeiten, dass sie ihm jedoch aufschreiben muss, mittags nicht zu essen zu vergessen (denn darauf läuft die Einkaufsaufforderung letzten Endes hinaus), dass sie sich also die Zuständigkeit anmaßt für seine durch Nahrung gesicherte biologische Existenz, schrumpft ihn zum hilflosen Kind, das seiner Mutter unterworfen ist. Der letzte Spiegelstrich bestätigt die Richtigkeit dieser Mutmaßung und nimmt eine signifikante Wendung. Zunächst legt das Mädchen in dem von ihr bekannten Stil fest, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, an welchem Dawid zum Friseur zu gehen habe; der Haarschnitt, in unserer Kultur neben beispielsweise der Mode als eine eigengestalterische Ausdrucksform von Individualität und Persönlichkeit aufgefasst, wird hier dem Willen einer anderen Person unterworfen. Doch damit nicht genug, geht das Mädchen noch weiter und verwandelt diese Aufforderung in eine kompromisslose Bedingung: im eiswasser-klaren Imperativ, dessen Nachdrücklichkeit mit der anschließenden Präposition ‚bitte’ nicht etwa abgeschwächt, sondern nachgerade betont wird, knüpft das Mädchen an die neue Frisur ihre Bereitschaft zu „geilem Sex“; wobei sie Dawid mit ihrem Nachsatz „ansonsten nicht“ (mit Ausrufungszeichen) auch die Sanktionen sehr deutlich macht, sollte er ohne geschnittene Haare wiederkommen. Zum allerersten Mal erscheint nun in diesem kurzen Brief ein grammatikalisches Subjekt, dessen Einsatz an dieser Stelle aber nicht an Perfidie zu übertreffen ist: das ‚wir’ ist geknüpft an die Bedingungsklausel, die Dawid zu erfüllen hat, ansonsten muss er sexuell bei sich bleiben. Das ‚wir’ wird also erst möglich durch die optische Veränderung von Dawid, die das Mädchen bestimmt. Die Lockungen des ‚wir’ werden zu einem vergifteten Geschenk (und hat die Schreiberin weiter oben nicht den größten Wert darauf gelegt, dass Dawid nur EINEN Apfel kaufen soll, der womöglich als Evas Apfel nur ihr vorbeihalten sein könnte?) an ihn, da das ‚gift of love’, das Geschenk der Liebe, eben nicht eine Gabe ohne Wiedergabe ist, sondern auf einem einfachen Tauschhandel basiert, dessen Bedingungen allerdings der stärkere Geschäftspartner diktiert. Die Wortwahl des ‚geilen Sex machen’ passt sehr genau zu dieser Ökonomie, in welcher Dawid ein höheres Angebot vorlegen muss, um das Liebesgeschäft überhaupt machen zu können. Es nimmt nicht wunder, dass diese letzten Zeilen auf dieser Einkaufsliste zu finden sind, ist doch augenscheinlich die Liebe der beiden von ökonomischen Strategien durchsetzt, die alle ihre Alltagspraktiken regeln und im Griff behalten. Der Diskurs der Liebe wird von dieser Ökonomie vollkommen eingenommen und besetzt. Das namenlose Mädchen ist dabei als Diskursträgerin von einer Kontrollmacht durchdrungen, deren stumme Effekte sie niederschreibt, um über den Körper des anderen, des anderen Liebenden verfügen zu können. Dieser Diskurs regelt die Zeit (Gespräch), die Erscheinungsweise (Frisur), das Essen (Waren), und schließlich die Sexualität des anderen Körpers auf so vollkommene Weise, dass man die Perfektion dieser alle Bereiche durchdringenden ökonomischen Strategie fast sprachlos bestaunt. Diese Ökonomie reiht dabei umgekehrt jeden Diskurs (das Gespräch am Abend, der Apfel, die Liebe) gleichgewichtig seiner Effektivität unter; tatsächlich werden die (verwa(h)rten) Ereignisse oder Objekte damit auch untereinander austauschbar, weil es keine Hierarchie unter ihnen geben kann, da die Ökonomie des Tausches alle Bereiche (wie Spiegelstriche) gleichschaltet. Sie produziert den Körper des anderen auf diese Weise, macht ihn sich verfügbar und gefügig, um die Kosten und Nutzen einer Begegnung jederzeit gegeneinander abwägen zu können. Die Versicherung am Ende „Liebe dich“ steht dabei nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu diesem Diskurs; denn tatsächlich findet die Liebe der Autorin genau in diesen imperativischen Zeilen ihren adäquaten Ausdruck. Diese Liebe wird darüber kalkulierbar und damit schätzbar. Erst ihre Zähmung, die Befreiung von Leidenschaften und deren Transformation zu ‚geilem Sex’ zeigt ihren Nutz- und Gebrauchswert, dem einzig verlässlichen und objektiviert gehofften Index einer Partnerschaft. Dieser Ökonomie zu entgehen, muss innerhalb dieses Diskurses scheitern, weil jeder weitere Eintrag sich sofort an den tauschorientierten und de-subjektivierten Maßstäben messen lassen muss. Sie lässt sich diskursiv nicht aushebeln, weil ihre Ordnung selbst den Umsturz motiviert. Augenscheinlich hat aber der, der diesen Zettel verloren hat, genau dies versucht. Er wollte diese Aufträge loswerden, und mit ihnen vorübergehend die Ordnung außer Kraft setzen. Gehe ich davon aus, dass es Dawid war, dann hat er augenscheinlich diese Ordnung mit dem Eigennamen seiner Freundin gleichgesetzt: ihre Unterschrift hat dieser mit Hilfe eines Streichholzes noch weggebrannt, bevor er den Zettel hat fallen lassen, sie damit namentlich gleicherweise gebrandmarkt wie auch verbrannt. Diese Ordnung konnte er also nur mit Hilfe eines Paradoxes beseitigen, mit der Löschung durch einen Brand.
Giftoflove. Es gibt eine latente und dennoch entscheidende Zurückhaltung, die uns daran hindert, dem geliebten Menschen zu sagen, dass wir ihn lieben. Nicht etwa, weil wir uns ‚nicht lieben’ würden. Das tun wir in den heimlichen Blicken, die wir ihm verstohlen zuwerfen, in den kleinen, liebevollen Gesten, die wir vor uns nicht verschließen können. Es sind dies die kleinen Kopfbewegungen, ein Augenaufschlag, eine unmerkliche Gangart, wie wir uns durch das Haar fahren oder vielleicht an die Nase fassen; all jene Gesten, die nur wir erkennen und über die wir erkennen, dass wir lieben. Damit sind nun genau nicht jene Gesten gemeint, die wir ausführen, um dem anderen bei irgend etwas helfen oder ihm etwas zu bringen, das wären offensichtliche Symbole, wie sie in unserer Kultur als Liebesdienste, als Liebesgesten gewünscht und erkannt werden. Diese Liebesgesten sind – streng genommen – keine, weil sie sich nicht auf den Körper desjenigen beziehen, der sie gebärdet. Der die Liebesdienstgeste ausführende Liebende bedient sich vielmehr eines lesbaren Codes, wie er das Verhalten von Liebenden seit langem regelt und verlangt. Solange sich die Geste auf den Körper des Anderen bezieht, ist sie keine eigentlich liebende; sie ist als Liebesgeste zwar bedeutend, aber in ihrer Bedeutung sofort erkennbar, ohne Geheimnis. Sie ist die Geste einer kultivierten Liebe, einer Zähmung, Einzäunung einer Eroberung. Die eigentliche, verschwiegene, heimliche Geste im Gegenteil bekennt sich immer dann, wenn wir glauben, dass der andere sie nicht bemerkt. Wir führen sie gerade dann aus, wenn wir uns sicher sind, dass der andere sie nicht wahrnimmt, wenn er schläft, träumt, nicht einmal im Raum ist oder an dem Ort, an welchem wir uns befinden. Diese Gesten sind nicht spektakulär, weil sie weder groß sind noch überhaupt wahrnehmbar. Sie spekulieren gleichermaßen auch nicht mit der Sichtbarkeit, weil sie nicht kalkulieren, gehen kein Tauschgeschäft ein, wollen keine Erwiderung, die für einen Kuss einen Gegen-Kuss gibt, eine Bestätigung im Anderen. Das ist der Schrecken, der uns packt, wenn wir zum ersten Mal in das Gegen-Liebe-Tauschgeschäft gegangen sind, in welchem jede Berührung mit einer Gegen-Berührung, jeder Blick mit einem Gegen-Blick abgegolten wird. Es ist dies der öffentliche Kuss im Restaurant zum Beispiel, das Küsschen, das nurmehr als Symbol einer partnerschaftlichen Verabredung gilt, die sagt: schaut her, ihr alle an den anderen Tischen, wir zwei gehören zusammen. Es ist gerade dieses ‚gehören’, das hier normalerweise nicht hingehört, denn welche Liebes-Geste kann einem gehören, es sei denn, dass die Liebe von der Ökonomie des Geschenk-Gegengeschenk-Konzepts durchsetzt ist. Es ist der erste Schrecken, an dem wir merken, dass die reine Geste der Liebe, diese Gabe der Liebe, sich verbraucht hat, sich leert, durch von mir, dem anderen und den anderen um mich herum konsumierbaren Gesten, zu Symbolen, zu Gesten, die ich FÜR DEN ANDEREN mache. Die Liebes-Geste, die ich für mich mache, bezieht ihre Tiefe, ihre Verpflichtung mir selbst gegenüber aus dem Versteck, aus welchem sie heraus geschieht. Sie will eben nicht nur nicht von dem anderen entdeckt werden, nicht nur nicht von dem anderen gesehen werden, sie will allein vor sich selbst bestehen. Ihr Schrecken ist ein anderer, ihr Schrecken ist jener, bei welchem der Liebende vor sich selbst erschreckt, indem er SICH dabei als Liebender erkennt. Er versucht dieses Gefühl dem anderen zu verheimlichen, weil er sich zum einen selbst dabei ertappt hat, dass er es nicht einmal vor sich hat verstecken können. Zum anderen aber, weil der Liebende bemerkt, dass er nichts zu veräußern hat neben seiner Liebe. Natürlich kann (und wird) er sich bemühen, dem anderen Geschenke zu machen, ihm mit Komplimenten zu schmeicheln, ihm Gutes zu tun, seine Blicke auf die seinen zu lenken; das aber sind keine Gesten der Liebe, sondern Versuche, die Liebesökonomie in Gang zu setzen, für das Angebot eine Nachfrage zu schaffen, zur Prüfung des Angebots zu verführen. Der Liebende bemerkt sodann, dass er nur Substitute, nicht aber seine Liebe geben kann; diese erscheint ihm unveräußerlich, denn er besitzt sie nun ja selbst nicht. Und daher muss der Liebende das, was er nicht besitzt, für sich behalten, weil er es tatsächlich halten, bewahren will aus Angst davor, es könnte ihm wieder entgleiten; deswegen fällt es ihm schwer, die drei Worte der Liebe an den Anderen zu richten: Zum einen will er schweigen, weil er sich nicht sicher ist, ob es TATSÄCHLICH Liebe ist, die er mit-teilen möchte, da er sie ja nicht besitzt, er sie nicht hat: wie könnte er dies dann äußern? Zum anderen bleibt er stumm, um seine Liebe, die er nicht hat, zu schützen, weil er sie vor den Worten bewahren will, die an das Ohr des anderen dringen, die das Unveröffentlichbare, das Unveräußerbare in Worte fassen, die die Liebe formelhaft an die Welt der symbolischen Gesten (Küsschen!) aufgeben könnten. Und zum dritten zögert er vor dem, was Sprachwissenschaftler als illokutionären Akt bezeichnen, vor dem Spracheffekt, den die drei Worte unmittelbar in seinem Verhalten bewirken könnten; seine Zurückhaltung rührt aber nicht daher, dass er nicht etwa das Herz des anderen entzünden möchte, vielmehr hat er Angst vor der Wirkung, die das Ausgesprochene auf sein eigenes Bewusstsein machen könnte, so dass er nie mehr hinter das Gesagte zurück könnte. Dass er vor sich eine Tatsache geschaffen hat, mit welcher er sich seine Liebe vor sich selbst verspricht. Dass er die heimlichen, versteckten Gesten, die er in Abwesenheit des anderen ausführt, er direkt nach dem Ausspruch vor sich selbst vor Augen führt, dass er für beide schließlich eine Verpflichtung übernimmt, die nicht nur auf dem illokutionären Sprechakt (unmittelbar zur selben Zeit verändert das Gesagte etwas) beruht, sondern vor allem die perlokutionäre nicht überschauen kann (die Veränderungen, die in einer im Moment nicht überschaubaren Zukunft eintreten werden und die als Wirkungen nicht wieder rückgängig zu machen sind), so dass der im Moment geäußerte Satz keinen Gegenwert haben kann, welchen er aber – in seiner Verpflichtung – behauptet; denn er verspricht etwas, ohne in der Lage zu sein, überhaupt etwas versprechen zu können, geschweige denn, dieses Versprechen erfüllen zu können. Die Zurückhaltung dieses Versprechens wird damit zur eigentlichen Gabe, weil sie nicht gesagt wird, weil sie nicht gegeben wird, weil sie dann erst versprochen werden kann.
Dies ist der Bericht eines Mangels, eines Wunsches. Das Nachmittagslicht fällt auf dein Bein, nackt lugt es unter der Decke hervor. Dein Gesicht auf dem Kopfkissen. Wie wunderschön du bist. Wir schweigen, haben uns geküsst, geliebt, umarmt. Die Zeit spinnt Fäden, umgibt uns mit ihrem Kokon, der uns von der Welt trennt und uns in sie aufnimmt. Du küsst mein Gesicht, schließt die Augen. Deine Lippen sind leicht geöffnet, weich und warm. Ich lächle, streiche dir durchs Haar. Du legst deinen Kopf in meine Hand, gräbst ihn ein in meine Handfläche. Ich halte die Welt in Händen. Meinen Finger lege ich auf deine Lippen. Ich küsse deine Lider, du flüsterst: „Ich habe von einem Mann gehört, der Worte so wunderschön sagen konnte, dass Frauen sich ihm hingegeben haben, wenn er nur ihren Namen aussprach.“ Wenn ich neben deinem Körper liege und schweige, während die Stille wie ein Tumor auf unseren Lippen blüht, dann deshalb, weil ich höre, wie ein Mann die Treppe hochsteigt und sich vor der Tür räuspert. Die Tür ist nur angelehnt.